"Was aber ist der Lohn dessen, der sein Leben lang hart im Dienste der Gemeinschaft gearbeitet hat, für sie sein Leben riskiert hat, die Gesundheit ruiniert? Noch härtere Arbeit, noch größere Gefahren, noch ärgere Prüfungen in seinem nächsten Leben, denn er hat gezeigt, dass er die einfacheren bestehen kann. Beschwert euch also nicht über die Mühen eures Lebens, denn je größer sie sind, desto näher seid ihr dem Einen. Jede Herausforderung, die ihr meistert, bringt euch einen Schritt weiter auf dem Weg zu ihm, welcher von uns allen als einziger vollkommen ist und dem sich nur der nähern darf, der alle Schwächen des Geistes hinter sich lässt und sich selbst der Vollkommenheit nähert."
Das überlieferte Wort des Propheten,
zitiert von Tristan
Was ist über den Propheten bekannt?
Herkunft: Er fiel vom Himmel und entstieg dem Meer. Der Eine hat ihn gesandt, die Menschen (und anderen Völker) im Kampf gegen die Dämonen anzuführen, sie darin zu schulen. Ganz in der Nähe von Ansdag kam er an Land.
Zur Person: Javrud war sein Name. Er war ein starker Kämpfer, aber auch ein Weiser, Gelehrter, Lehrer. Als die Menschen in Panik verfielen über den neuen, mächtigen Feind, machte er ihnen Mut, einte er sie, lehrte sie die Schwächen des Feindes, führte sie im Kampf gegen sie an.
Er war anders als sie. Verhüllte seinen Körper mit einer Kapuzenrobe. Lebte in Keuschheit und Askese. Er nahm sich kein Weib, zeugte keine Kinder, hinterließ keine Nachkommenschaft. Seine Erben seien seine Schüler; seine Worte und sein Kampfeswille die Hinterlassenschaft.
Nicht der einzige Prophet? Zumindest behaupten die in Frankia, sie hätten auch einen gehabt. Ihrer hieß Aurvandil. Irgendwie hat er aber ziemlich genau dasselbe getan und gepredigt wie Javrud, sodass man kein Schelm sein muss, um Böses zu vermuten. Wahrscheinlich waren die Franken bloß neidisch auf den Dalaranschen Propheten und mussten sich unbedingt einen eigenen erfinden, anstatt zuzugeben, dass sie die Ideen und das Wissen von den Dalaranern hatten.
Ankunft und erste Prophezeiung: Javrud tauchte in Ansdag auf, kurz bevor die ersten Dämonen in den Bergen von Jonmarr gesichtet wurden. Er warnte bereits vor ihnen, als noch kein Mensch von ihnen wusste.
Zu Beginn hielt man ihn für ein Feenwesen oder ein Feenbalg. So sah er halt aus. Und sprechen tat er auch seltsam. Eine fremde Sprache. Wobei er die Leute besser verstand, als er sich selbst verständigen konnte. Zunächst kannte er nur wenige Wörter und hatte Mühe, sie auszusprechen. Aber gleich mit den ersten Worten, die er verständlich hervorbrachte, warnte er vor einer großen Gefahr. Skoll-Hati nannte er in seiner Sprache die, die später von den Einheimischen Dämonen geheißen wurden. Die Skoll-Hati würden bald kommen, sie wollten alle töten. Die ganze Welt wollten sie vergiften, Luft, Erde, Wasser, alles... alle Pflanzen und Tiere... alles ersticken, verwandeln, erobern...Bekämpfen müsse man sie, bis zum letzten Mann... zum letzten Atemzug...
Zunächst schenkte man ihm keine Beachtung. Ein verwirrter Irrer. Ein Feenbalg. Der Schmerz hatte seinen Geist verwirrt, oder vielleicht auch der Kampfrausch. Er war nämlich verletzt, als er sich nach Ansdag reinschleppte. Schnittwunden, Brandwunden, gebrochene Knochen. Die Worte oben hatte er am zweiten oder dritten Tag in der Obhut der Heilerin herausgebracht, und war dann auch schon wieder zusammengesunken.
Wieder geheilt, war er dann auch schon viel ruhiger und gefasster. Konnte dem damaligen Fürsten Fragen beantworten. Nein, er sei kein Feenbalg. Nur von sehr weit her. Bei ihm daheim sähen alle so aus. Die Zwerge und Elben, die Kolkar und die Riesen... nun, deren Erscheinung sei ja jeweils unterschiedlich und noch einmal ganz anders als die der Menschen. Woher seine Verletzungen stammten? Wie es ihn hierher verschlagen hätte? Nun, er sei an Bord eines Schiffes gewesen, Teil einer Flotte, bestehend aus allen Schiffen, die man habe entbehren können, was leider nicht so schrecklich viele gewesen seien, denn man selbst werde von allen Seiten bedrängt. Trotzdem: eine große Schlacht habe man geschlagen, gar nicht allzu weit vom hiesigen Ufer entfernt... also man bräuchte schon eine lange Zeit in einem Boot, selbst unter Segel, er habe jetzt nur gemeint: nah, verglichen mit seiner Heimat, die sei weit entfernt, aber man habe die Skoll-Hati hierher verfolgt, weil man ahnte, dass sie Böses im Schilde führten... Und so habe der Eine sie ausgeschickt, um den Untergang dieser Welt zu verhindern, die unter dem Schutz des Einen stünde... und wenn es das letzte ist, was ihr tut, habe der Eine gesagt, und wenn ihr euch opfern müsst, um den Völkern dort eine Hoffnung auf Überleben zu geben...
So steht es heute noch nachzulesen in den heiligen Schriften des Propheten.
Aufstieg: Der ging recht schnell. Keine zwei Monate, nachdem Javrud in Ansdag aufgetaucht war, kamen auch schon Gesandte aus Jongot mit Nachricht: ein schrecklicher Feind fiele über ihre südlichen Bergdörfer her, massakriere alles, was ihm in den Weg käme. Schreckliche Kreaturen seien es mit schrecklichen Kräften. Die besten Krieger Jongots könnten fast nichts gegen diesen Feind ausrichten, immer weiter werde man zurückgedrängt. Selbst die Landschaft verändere sich, dort, wo der Feind Fuß fässt, faulige Gase füllen die Luft, die Pflanzen verkommen, neuartige entstünden: schleimige, schlingende, wuchernde, würgende Gewächse... giftspeiend oder messerscharf...
Doch Javrud kannte den Feind. Wusste fast alles über ihn. Seit langer Zeit bekämpfe man ihn schon in seiner Heimat. Er kannte jede Erscheinungsform, jeden Trick, jede Verwundbarkeit, jedes Gift, jede Pflanze, jede Wunderkraft des Gegners. Er ging nach Jongot—begleitet von fersländischen Helfern und dem Versprechen des Fürsten, Verstärkung zu organisieren—und lehrte die Jongoten, die Skoll-Hati—oder wie die Jongoten sie inzwischen nannten: die Dämonen—zu bekämpfen.
Leben und Wirken: Neunzig Jahre lang lebte Javrud unter den Menschen und kämpfte an ihrer Seite gegen die Dämonen. Als Berater sah er sich wohl, doch niemals als Anführer, Häuptling, König, niemals als Kulturbringer, Lehrer, Gelehrter. Eine einzige Mission trieb Javrud sein Leben lang: der Kampf gegen die Skoll-Hati.
Und doch beeinflusste er die Kultur der Menschen und lehrte sie vieles. Denn er kam nun einmal aus einer fremden und wesentlich weiter entwickelten Kultur. Da konnte er noch so sehr versuchen, sich in die hiesige Kultur einzufügen: sobald er den Mund aufmachte, gab er irgendwas von sich, das die Dalaraner befremdete, verwunderte, ihnen zu denken gab oder oder auf neue Ideen brachte. Dabei war er von Natur aus eher ein schweigsamer Mann. Gar nicht mal sonderlich redegewandt. Charisma hatte er wohl. Eine körperliche Präsenz. Und die Stärke seiner eigenen Überzeugung überzeugte nahezu jeden. Aufrecht, geradeheraus, stets zu seinem Wort stehend. Die Lüge verabscheute er. Diszpliniert, geduldig (mit gelegentlichen Ausrutschern), systematisch, vorausschauend, strategisch... Keiner plante und koordinierte größere Militäraktionen so gut wie er.
Im zivilen Bereich waren seine drei größten Einflüsse: (1) Schrifttum & Wissenschaft; (2) gesellschaftliche Strukturen; (3) philosophisch-weltanschauliche Konzepte. (Details dazu gleich.)
Dabei betonte er immer wieder, nicht als Lehrer gekommen zu sein, oder zumindest sehe er sich nur als ein Lehrer im Kampf gegen die Dämonen. (Auch eine Religion hatte er nicht stiften wollen, doch davon später.) Dennoch scharten sich von Anfang an nicht nur Kämpfer um ihn, sondern auch
Suchende, die
verstehen wollten, die nach Wissen oder einem Sinn strebten. (Auch dazu später.)
Rund 60 seiner 90 Jahre, die Javrud unter den Menschen lebte, verbrachte er in Jongot, an der Dämonenfront. Nach Ansdag kehrte er aber immer wieder zurück und unternahm Reisen auch ins südliche Fersland, zu den Zwergen, den Elben, den Riesen, sogar zu den Kolkar, um Bericht von der Lage zu erstatten und Verbündete zu gewinnen. Und ihm gelang, was bis zum heutigen Tag nie wieder jemandem gelang: alle fünf Völker zu einer Schlacht gegen die Skoll-Hati zusammenzubringen...
Er starb, wie er gelebt hatte: in der Schlacht.
Jetzt also zu seinen (nicht immer beabsichtigten) Einflüssen:
(1) Schrifttum bedeutet mehr als nur Lesen und Schreiben können. Die Menschen vor Javruds Zeiten waren eine rein orale Kultur—wie heute noch die Kolkar und die Rûngarder Piraten es sind. Und, na ja, auch den meisten Menschen kommt es noch sehr komisch vor, dass so Krakellinien da etwas bedeuten können, dass sie repräsentieren, was ein Mensch irgendwo, irgendwann gedacht oder gesagt hat. Bis heute begreifen nur sehr wenige, wie das funktioniert, was es in der Konsequenz bedeutet, welche Möglichkeiten es bietet. (Druiden allerdings begreifen es nur allzu gut, weshalb sie es bei Todesstrafe
verbieten, dass jemand aus ihrem Zirkel ihr geheimes Wissen aufschreibt und so riskiert, dass Außenstehende es lesen.) Aber immerhin: dank Javrud gibt es ein (menschliches) Gelehrtentum, zumeist in Klöstern, vereinzelt in großen Städten / Adelshäusern. Es gibt Bibliotheken, Buchbinderei, Buchmalerei, sogar Papier.
[1] Landkarten wurden genauer, Berechnungen allgemein (z.B. auch im baulichen Bereich), die Methoden (der Fachleute und Gelehrten) insgesamt ein wenig wissenschaftlicher.
Selbst den Zwergen—eine alte Schriftkultur, die es aber irgendwie nicht geschafft (oder nicht versucht) hatte, die Menschen dafür zu begeistern —war einiges davon neu, insbesondere das so praktische Papier. Das haben sie sich also still und heimlich von den Menschen abgeguckt. Schön, es war nicht so
haltbar wie in Stein (oder auch nur in Holz) geritzte Buchstaben, aber doch irgendwo... praktisch.
Schriftkultur beinhaltet auch Geschichtsschreibung und damit die Möglichkeit—den Anspruch, die Hoffnung—aus der Geschichte zu lernen.
(2) Eine geordnete Gesellschaft: Um im Kampf gegen die (ihnen so weit überlegenen) Dämonen eine Chance zu haben, müssten die Bewohner Dalarans ihre ganze Gesellschaft auf diese Aufgabe ausrichten. Jeder, nicht nur die Krieger, hätten ihr Teil beizutragen. Also lehrte Javrud den Dalaranern eine Lebensweise als Ideal, welche auf Wissen, Disziplin, Ordnung und Gemeinsinn basiert. Jeder hat darin seinen Platz, seine Aufgabe für die Gemeinschaft. Für
ihn gab es neun Berufungen: zum
Priester,
Gelehrten,
Künstler; zum
Krieger,
Heiler,
Zauberwirker[2]; zum
Erbauer,
Kaufmann,
Arbeiter. Dies sind die neun regulären, die jedes Mitglied der Gemeinschaft sich ganz nach Eignung oder Neigung auswählt. Die zehnte ist eine, die niemand freiwillig wählt: die aus der Gemeinschaft Ausgestoßenen, die
Kastenlosen. Diesen Unglücklichen steht ein einziger Ausweg frei, um doch in die Gemeinschaft zurückzukehren und ihr ehrenvoll dienen zu können: die
Totenlegion (Vorbild: Legion of the Dead, aus Dragon Age.)
Umgesetzt in (annähernd) Javruds Sinne wurde diese Gesellschaftordnung (inkl. Totenlegion) bisher nur in Jongot; in anderen Gebieten wird viel darüber philosophiert, was Javrud damit gemeint haben könnte, und vielleicht auch mal diese oder jede Umsetzung/Interpretation ausprobiert, aber nichts einheitliches oder dauerhaftes hat sich etabliert.
Mit den neun Kasten wäre man ja vielleicht noch irgendwie zurecht gekommen. Doch jede dieser Gruppen war in Javruds System nach zwei weiteren Merkmalen nochmals dreigeteilt: zunächst in je drei verschiedene Aufgabenbereiche oder Fachgebiete, danach dann noch in Lehrlinge, vollwertige Mitglieder und Anführer, sodass wir hier von einer Unterteilung in 81 Gruppen sprechen (+ die Kastenlosen). Das war den Dalaranern zu kompliziert. Dabei waren ihnen einige dieser Ideen bereits bekannt. Dass es überall Lehrlinge und Meister gibt, ja, das versteht sich von selbst. Und der Alte Glaube teilt das Himmelreich in vier Bereiche ein: je einen für die Seelen der Krieger, Erbauer, Heiler und Gelehrte. Vier Bereiche, plus einen fünften für die restliche Bevölkerung, sofern eine Seele nicht in die Unterwelt steigt, ins verborgene Reich Hel. Sechs Bereiche also. Nicht 82.
So manch eine von Javruds Ideen war den Menschen dagegen völlig neu: Arbeiter getrennt von den Erbauern, Priester getrennt von den Gelehrten, Künstler als eigenes Konzept. Außerdem fehlen in der Ordnung die Bauern, ebenso wie die Möglichkeit, zwei Dinge zugleich zu sein, etwa Bauer und Krieger. Und wozu braucht es über den Meistern noch eine Anführerschicht, außer vielleicht jemanden, der die Krieger in einer wichtigen Schlacht anführt? Letztendlich war (und ist) ihnen eine derart strikte Arbeitsteilung fremd. (Da müsste man schon zu den Zwergen hinüberschauen, die in dieser Hinsicht schon weiter sind. Wofür bei den Menschen der Schmied zuständig ist, da gibt es bei den Zwergen (mindestens!) einen Waffen-, Werkzeug- und einen Schloßschmied, eher noch einen Gold- und einen Silberschmied, einen Zinngießer...) Bei den Menschen ist's eher andersherum, dass es in einer Gegend gar keinen Schmied gibt, sondern sich jeder Bauer sein eigenes Werkzeug herstellt. In dieser Hinsicht hatte Javrud also so seine Schwierigkeiten, den Menschen seine Ideen nahe zu bringen.
Auch lehrte Javrud, dass nicht die eigene Sippe an höchster Stelle der gesellschaftlichen Ordnung steht, sondern darüber noch das Gemeinwohl aller stünde, dem das Sippenwohl sich unterzuordnen habe. Er sprach sich sehr vehement gegen jede Art von Sippenfehde aus und gegen die dalaransche Praxis der Rachepflicht. Gerichte müssten diese Dinge verhandeln; Gerichte müssten die Täter bestrafen. Damit diese das können, müssen sie über den Sippen stehen und von diesen als übergeordnet anerkannt werden. Ja, er ging noch weiter: es muss eine Regierungsinstanz über den Sippen geben, in denen die Besten aus allen neun Berufungen vertreten wären, um Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls zu treffen, die dann für alle verpflichtend wären.
Javruds Einmischung in dieser Sache fällt umso mehr auf, als dass er sich normalerweise eher aus allem heraushielt, das nicht direkt dem Kampf gegen die Skoll-Hati diente. Die Menschen von Daralan müssten ihren eigenen Weg finden, sagte er gerne, da wolle er sich nicht einmischen. Außer dort, wo es absolut notwendig war, um die Dämonen zu besiegen. Nun, dazu könnte man seine Forderung nach mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft wohl zählen; andererseits wirkte Javrud Überzeugung in dieser Hinsicht – sein Glaube an Recht, Ordnung und das über allem stehende Gemeinwohl – noch grundlegender, noch fester in seiner Persönlichkeit verankert als sogar sein so gern als Lebenszweck deklarierter Kampf gegen die Skoll-Hati. Dämonen – dagegen kämpfte man. Die Gemeinschaft, Recht und Ordnung – dafür kämpfte man. Feinde kamen und gingen; die Gemeinschaft blieb. Solange sie zusammenhielt.
Fazit: Bis heute konnte Javruds Gesellschaftslehre in Dalaran bestenfalls in Ansätzen Fuß fassent. Immerhin ist es vielerorts üblich geworden, dass auf Thingversammlungen, besonders vor wichtigen Entscheidungen, Vertreter jeder "Berufung" angehört wurden, und dass auch Jarle sich Berater aus möglichst verschiedenen Berufen an die Seite holten. (Wie man sieht, haben die Daralaner aus Javruds "Berufung" den bodenständigen "Beruf" gemacht.) Weitere der zuerst abgewehrten Ideen zur gesellschaftlichen Ordnung gelangten zwei Jahrhunderte nach Javruds Tod auf einem Umweg nach Dalaran. Eingeführt von keinem anderen als Jork Kuijt, der vor gut 100 Jahren die Sippen des Landes im Kampf gegen die Kolkar einte und sich nach deren erfolgreichen Niederschlagung zum König über alle erheben ließ, ganz nach fränkischer Sitte. Er war nämlich lange Jahre in Frankia gewesen und hatte die dortigen Sitten kennengelernt. Dort, in Frankia, haben die Leute nämlich die (ganz ähnlichen) Ideen ihres Propheten rascher und wortgetreuer angenommen, als die renitenten Dalaraner dies taten, und bereits flächendeckend im ganzen Lande durchgesetzt. Unter Jork Kuijt setzte sich dann auch in Dalaran fast überall eine Drei-Stände-Ordnung: Adel, freier Mann, Knecht. (Dies eine Vereinfachung von Javruds System, wo die neun sich noch einmal drei mal drei unterteilt waren, sodass man bei 81 gesellschaftlichen Gruppen anlangten, plus die Kastenlosen (s. Exkurs unten). Auch der Gedanke, die Gesellschaft setze sich aus Personen mit fest umrissenen Aufgabenbereichen zusammen, verbreitet sich immer mehr, ist vielerorts längst anerkannt. Wo zuvor alle freien Männer und Weiber als gleich angesehen wurden, die eben verschiedene Berufe ausübten, werden heutzutage diese Berufe mehr und mehr als "Stände" verstanden. Der "Stand" der Fischer, der "Stand" der Seeleute, der Handwerker, der Kaufleute...
"Aber sie alle dienen dem Einen."
Exkurs: Von Kasten und Ständen (Anzeigen)
Kastensystem nach Javrud: Priester, Gelehrter, Künstler; Krieger, Heiler, Zauberwirker (in den Schriften "Beeinflusser" genannt); Erbauer, Kaufmann, Arbeiter. (Die ersten drei sind die Anführer/Oberschicht/geistige Führung; die zweiten drei die Verteidiger der Gemeinschaft; die dritten drei die "Erschaffenden" bzw. Arbeiter im weiteren Sinne.)
Daraus haben sich die Menschen ihr eigenes Idealbild einer Gesellschaftsordnung gebastelt. (Javrud sprach von Kasten oder auch (nahezu synonym) von Berufungen, in Dalaran nennt man das eher Stände.)
Kastensystem in Jongot (weitgehend umgesetzt): Priester (des Einen), Heiler, Zauberwirker (jeder Art); Krieger, Bauer, Erbauer; Kaufmann, Arbeiter, Totenlegionär.
(Gelehrte, das sind eh immer Priester; Künstler braucht man nicht; aber Bauer und Totenlegionär jeweils als eigene Kaste. Verschobene Gewichtung der einzelnen Kasten gegenüber Javruds Anordnung.)
Ständesystem in Bächland (in der Umsetzung befindlich): Prediger, Heiler, Glaubenswächter; Krieger, Bauer, Kaufmann; Erbauer, Seefahrer, Arbeiter. (Wie Jongot, nur Glaubenswächter statt Zauberwirker und Seefahrer statt Totenlegionär. Verschobene Gewichtung der einzelnen Stände gegenüber Javruds Kasten.)
Ständesystem in Fersland und Linsberg (als theoretisches Ideal gelehrt): Priester (im Namen Gajas oder des Einen), Krieger, Bauer; Kaufmann, Erbauer, Heiler; Gelehrter, Künstler, Abeiter. (Enger an Javruds System, insofern als Künstler und Gelehrter als Stände erhalten sind. Bauer als eigener Stand, dazu ganz vorne mit dabei. Dafür keine Zauberwirker als eigene Kaste, aber die meisten fallen unter Priester, da hier Gajapriester eingeschlossen sind, anders als in Jongot oder Bächland. Verschobene Gewichtung der einzelnen Stände gegenüber Javruds Kasten. Und eh alles bloß ein nettes Gedankenspiel, ein nicht auf das echte Leben / die dalaransche Wirklichkeit übertragbares Modell.)
(3) Philosophisch-weltanschauliche Einflüsse: Javrud selbst hat keine Schriften hinterlassen (von einigen Briefen abgesehen, in denen er Anweisungen gibt, Bericht erstattet oder um Verstärkung bittet/um Verbündete wirbt). Nicht eine Weisheit hat er für die Nachwelt zu Papier gebracht, keinen Lehrsatz, kein philosophisches Pamphlet, keine wissenschaftliche Erkenntnis, kein Lehrwerk. Alles, was über seine Ansichten und seinen enormen Wissensfundus bekannt ist, haben andere für ihn aufgeschrieben. Das schließt sogar sämtliches Wissen über die Skoll-Hati ein.
Welch Ironie des Schicksal. Welch kurioser Widerspruch. Der Mann, der den Menschen Dalarans zu einer Schriftkultur verhalft, hinterlässt selbst keine Schriften. Nun gab es zwar an die drei Dutzend eifriger Schreiber, die sich jedes halbwegs interessante Wort aus seinem Mund notiert haben, doch wird dabei nicht immer (oder seien wir ehrlich: nur selten) klar, was Javrud wirklich gesagt und gemeint hat, und was seine Chronisten bloß so verstanden bzw. sich so zurechtgelegt haben. Deswegen spricht man ja auch vom
überlieferten Wort des Propheten.
[3]Die fünf wichtigsten seiner philosophischen Konzepte, sortiert von weltlich bis esoterisch (in Stichworten).
(a) Das Gemeinwohl ist das höchste Gut. Dem hat sich die Freiheit des Einzelnen und die Interessen der einzelnen Sippen unterzuordnen. Recht und Gesetz hat über der Freiheit und der Sippe zu stehen. Dazu wurde unter Punkt (2) schon reichlich geschrieben.
Zeremonien und Traditionen wären in diesem Kontext noch erwähnenswert. Javrud hielt viel von beiden, denn sie hielten die Gemeinschaft zusammen und sorgten für ein reibungsloses, möglichst streitfreies Miteinander.
(b) Tugend, Moral, Verhaltenskodex. Jeder Einzelne hat danach zu streben, sein Potential zu erreichen, d.h. sein Lebtag daran zu arbeiten, sich zu verbessern, in charakterlicher Hinsicht wie in seinen sonstigen Fähigkeiten. Wer glaubt, an dem Platz, wo er sich befindet, nicht sein volles Potential erreichen zu können, sollte sich auf die Suche nach seiner wahren Berufung machen. Hat aber jemand seine wahre Berufung erkannt (ob nach langer Suche oder in einem Moment der Eingebung), soll er sich umgehend daran machen, diesen neuen Pfad zu verfolgen. Auch, wenn er dazu seine Kaste wechseln muss.
Einzelne Tugenden, die Javrud lobte:
Vernunft, Logik, Plan, Kalkül - über Gefühl.
In allem: Disziplin. In allem maßvoll.
In der Rede: Sachlichkeit.
Zurückhaltung, Haltung bewahren, Fassung bewahren. Keinen Streit suchen.
Niemals lügen. Niemals täuschen.
(c) Logik, Fakten, Beweisbarkeit. Wissenschaftliches Denken und Methoden. Wider den Aberglauben.
Javrud konnte Gaja, von den Dalaranern als Göttin verehrt, nicht als Göttin anerkennen. Nicht, dass er versuchte, ihnen die Verehrung Gajas auszurden. Solange der Glaube an sie den Menschen Mut mache und im Kampf gegen die Skoll-Hati helfe, befürwortet er ihn. Nur er selbst könne nicht so tun, als verehre er sie. (Niemals lügen! Niemals täuschen!)
Und wenn man ihm Beweise bringen wollte, dass Gaja eine Göttin sei, so erklärte er ruhig: ein altes, sehr mächtiges Wesen mochte sie sein. Seinem besten Wissen nach war sie das erste Wesen, das auf dieser Welt entstand. – Also doch: Göttin! – Nein, keine Göttin, denn sie hat die Welt nicht erschaffen, wie ihr euch das vorstellt, sie ist ein Wesen dieser Welt. Und an dieser Stelle im Gespräch kam er schnell zu dem viel wichtigeren Thema zurück: Auch sie ist bedroht durch die Skoll-Hati. Wenn die Skoll-Hati die Welt erobern, stirbt auch Gaja.
Oder aber es versuchte mal wieder jemand, ihm zur Teilnahme an einem Ritual zu Gajas Ehren teilzuhaben. Um sie gnädig zu stimmen. Ihre Unterstützung zu erbitten. Dann erklärte er: Gaja braucht das nicht. Aber wenn ihr das braucht, wenn es euch Mut macht, so ist es gut! – Wie, was, natürlich freut Gaja sich über unser Lobpreis, unsere Dankbarkeit! Worauf Javrud sagte: Gaja versteht euch so wenig wie ihr sie. Das konnten seine Zuhörer nicht glauben. Gaja war klug, tausendmal klüger als jeder Mensch. Da hielt Javrud einen Wurm hoch. Der windet sich. Stellt euch vor, der Wurm versucht mir etwas zu sagen. Ich verstehe ihn nicht. Tausendmal klüger bin ich als er und doch verstehe ich ihn. Genausowenig, wie er mich versteht.
(d) Suchende haben für ihn einen besonderen Status. Einen Suchenden dürfe man nicht abweisen. So wie es in Dalaran die Pflicht der Gastfreundschaft gab, nach der man einen Fremden zu Gast bei sich aufzunehmen habe (zumindest für eine Nacht und eine Mahlzeit; andererorts bis zu drei Tagen), so dürfe man bei ihm daheim niemanden abweisen, der auf der Suche ist nach Antworten, Erkenntnissen, Erfahrungen, Fähigkeiten, Wissen, Sinn... oder nach seiner wahren Berufung ist. Es ist das Höchste, wenn sich jemand vom Alltag abwenden und ganz der Suche widmet, wie er eine bessere Person werden kann.
(e) Glaubensfragen: Trotz seiner häufigen Forderung, sich an die beweisbaren Dinge zu halten, und nicht einem Aber- oder Götterglauben anheimzufallen, gibt es doch auch Dinge, an die Javrud glaubt, ohne dass sie sich wissenschaftlich beweisen lassen. Jedes denkende Lebenwesen stellt sich nun einmal existentielle Fragen, auf die es (noch?) keine Antworten gibt. Im Falle Javruds ist dies die Wiedergeburt. Die Seelen der Mitglieder eines Volkes werden in einer zukünftigen Generation wiedergeboren. Jedes neue Leben baut auf einem alten auf. Wer sein Leben gut lebt, wer viel lernt und erreicht, der ist in seinem nächsten Leben bereits einen kleinen Schritt voraus, zeigt bereits in jüngeren Jahren ein Talent für die Dinge, die er im vorigen Leben gemeistert hat.
[4]Das macht das Streben des Einzelnen nach Verbesserung/Vervollkommnung seines Charakters und seiner Fähigkeiten so wichtig. Wenn jede Generation danach strebt, sich zu verbessern, nur dann gibt es Fortschritt. Je mehr Mitglieder einer Generation sich darum bemühen, desto mehr Fortschritt. Folgen aber zu wenige diesem Bestreben, vernachlässigt gar eine ganze Generation ihre Fähigkeiten und sagt sich von den Tugenden los, wird jede folgende Generation geringer sein als die vorige. Noch deutlicher gesagt: Eine Generation, die sich auf den Lorbeeren der Väter ausruht, die sich von der Tugend lossagt und einer hedonistischen Lebensweise zuwendet, führt unweigerlich zu einem (mit jeder Generation fortschreitenden) Verfall der Gesellschaft. Diese Abwärtsspirale kann erst gebremst oder umgekehrt werden, wenn wieder genügend Leute nach einer Verbesserung ihrer Selbst streben.
Vor dem inneren Kreis seiner Vertrauten gestand Javrud an dieser Stelle gern, und sein Tonfall war bitter: "Genau dies ist in meiner Heimat passiert. Die Skoll-Hati hätten niemals so stark werden können, wenn wir nicht so schwach geworden wären."
Weihe: In diesem Licht muss auch Javruds "Weihe" gesehen werden, die von ihm keineswegs religionsstiftend gedacht war, so wie sie später von seinen Schülern und Anhängern präsentiert wurde. Vielmehr zelebrierte er durch sie seine persönliche Wiedergeburt.
Elf Jahre weilte er bereits unter den Menschen Dalarans und hatte sie schon in etliche Schlachten gegen die Skoll-Hati angeführt. Anlässlich eines Treffens mit (überwiegend) fersländischen Jarlen, sowie Abgeordneten der Elben und der Zwerge (zwecks Berichterstattung und Bündnisgesuchen) war er nach Ansdag gereist. Der Versammlungsort war an der heiligen Quelle, denn dort war der Boden auch damals schon so heilig, dass niemand es wagen würde, gegen einen anderen die Waffe zu erhoben. Dort tat Javrud vor den versammelten Oberhäuptern und Gesandten einen Schwur: Seine wahre Bestimmung habe er erkannt. Er wisse nun, was die Aufgabe seines Lebens sei. Nicht länger wolle er daran denken, ob es Wege gäbe, zu den Seinen zurückzukehren, nicht länger hoffen, jemand werde ihn vermissen und ein Schiff nach ihm aussenden, um ihn nach Hause zu holen. Tot sei sein altes Leben; wiedergeboren sei er in sein neues. Und in diesem neuen Leben wolle er nicht keine Mühen scheuen, keine Marter fürchten, keine Rast geben, keine Zweifel zulassen, und niemals an Aufgeben denken; bis zum letzten Atemzug werde er, an der Seite seiner Verbündeten, die Dämonen bekämpfen. Dalarans Kampf sei sein Kampf. Das Schicksal und der Eine hatten ihn an genau den Ort geführt, wo er zu sein hatte, um seine wahre Bestimmung zu erfüllen. Und wenn nach seinem Tod dann seine Seele zu den Seinen zurückkehre und in eine neue Generation Luonnatar (so hieß sein Volk) wiedergeboren werde, so werde er ihnen alles mitbringen, was er hier in seinem Leben auf Dalaran gelernt habe. Dann werde der ungebrochene Kampfgeist der Dalaraner, ihre rohe, ungestüme Kraft, auch die Seinen stärken.
Tod: 90 Jahre also führte Javrud die Menschen (und gelegentlich nicht-menschliche Verbündete) im Kampf gegen die Dämonen an. Dann war er plötzlich tot. In der Schlacht gefallen, einfach so.
Die Lücke, die sein Tod riss, die es wieder zu füllen galt, klaffte riesig. Alle Hoffnung schien mit einem Schlag verloren. Der Feind, so mächtig wie zuvor. Die geballte Kraft der vereinten dalaranschen Kämpfer hatte ihn in 90 Jahren gerade mal seine Ausbreitung halbwegs eindämmen können, von Zurückdrängen oder gar Sieg durfte bislang nur geträumt werden, und nun war man in seinem Kampf auch noch allein!
Die geschichtliche Perspektive, besonders auf Seiten der Kritiker (also Anhängern des alten Glaubens) mag den Schülern des Propheten Hintergedanken oder gar Machtspiele unterstellen, in der Art, wie sie nach seinem Tod die Dinge (recht autoritär) zu ordnen versuchten, aber die Not der Stunde damals war wirklich: beim grundgütigen Einen, wie machen wir bloß weiter? Hat es überhaupt noch einen Zweck? Oder sind wir nun verloren? Wie erlangen wir die Hoffnung, die gemeinsame Stärke zurück?
In dem Bericht über Javrud mag ein Thema durch seine Nichterwähnung aufgefallen sein: von dem "Einen Gott" ist dort nirgendwo die Rede. Weil Javrud nicht an Götter glaubte. Weder an Gaja noch an den Einen Gott, der später so eng mit seinem Namen verbunden werden sollte. Als dessen Prophet er den Menschen heute gilt. Javrud sprach wohl von "dem Einen", womit er für gewöhnlich das Gemeinwohl meinte, in bestimmten Kontexten auch den Rat der Neun in seiner Heimat (in welchem die neun Kasten mit einer Stimme sprachen und über das Gemeinwohl entschieden). Wie also kam es zu dieser Umdeutung, dieser Verzerrung von Javruds Lehre? Wie erstand der Eine Gott als Zentrum einer neuen, den alten Glauben bekämpfenden Religion?
Vier Faktoren spielten wohl mit:
(i) Zunächst einmal war die Lücke im Gefüge der Gesellschaft, die Javruds Tod hinterließ, so immens groß, dass keiner seiner selbstbekennenden Nachfolger sie füllen konnte—auch nicht als neun seiner treuesten Anhänger und engsten Vertrauten sich in Nachahmung der Regierung in Javruds Heimat, zu einem "Rat der Neun" zusammentaten. Alles, was Javrud aufgebaut hatte, schien rasend schnell in sich zusammen zu fallen. Bündnisse zerbrachen, die jahrzehntelang gehalten hatten. Die Truppenmoral war am Boden. Die der normalen Bevölkerung auch. Eine Niederlage reihte sich an die nächste. Es brauchte etwas Großes, um die Lücke zu stopfen. Mehr als einen Mann (oder deren neun). Es brauchte etwas Großes, um den Menschen wieder Hoffnung zu machen, ihnen Zusammenhalt zu geben, das Gefühl, nicht allein zu sein. Die Leute brauchten einfach jemanden, an den sie sich mit Bitten wenden konnten, auf den sie sich in jenen Momenten des Zweifels stützen konnten, dessen Autorität sie alle anerkennen konnte, in dessen Namen sie sich zusammenfinden und unter dessen Banner sie gemeinsam kämpfen konnten. Jemand, der sie nicht so rasch verlassen konnte. Jemand, der nicht in der nächsten Schlacht schon fallen könnte.
(ii) Von wegen "höhere Instanz". Javrud sprach oft davon, dass es eine Instanz über der Sippeninstanz geben müssen. Einer Instanz, der dann alle gehorchen müssten. Ein Jarl stand aber nicht so hoch über den anderen. (Könige gab's damals noch nicht, aber auch wenn die Fragestellung auf die heutigen Könige anwenden wollte, stünden auch sie nicht so hoch über allen anderen.) Ordnung, Recht und Gesetz, so hieß bei Javrud die übergeordnete Instanz. (Nur gab es in Dalaran kein einheitliches Recht und überhaupt war Recht, was die Thingversammlung für Recht befand, und das, was als Recht mündlich überliefert wurde, an dem man sich dabei orientieren sollte, war einfach bloß das, wie die Vorfahren es in ähnlicher Situation gehalten hatten. Recht in Dalaran war etwas vielstimmiges. Ein riesiger Chor, in welchem jeder Sänger etwas anderes sang.) Tugend verlangte Javrud darüberhinaus. Und das war etwas, das man zwar preisen, nicht aber vor einem Thinggericht einfordern konnte. Vom Thinggericht bekannt war ja schon das Gottesurteil (auch wenn frühere Generationen dabei an Gaja dachten), welches in einem Streitfall zu entscheiden hatte, wenn es der Versammlung dies nicht gelang. Also war der Schritt zu einem Gott in der permanenten Rolle der höheren Instanz (nicht nur in der Rechtsprechung, sondern auch in allen anderen Bereichen) nicht mehr weit.
Ein Gott untermauerte auch so wunderbar die Autorität dessen, der in seinem Namen zu sprechen und zu handeln behauptete. Der Eine Gott ist es, der Tugend verlangt, nicht der Priester selbst. Der Eine Gott, welcher Opfer verlangt, im Kampf gegen den Feind. Das gibt einer Rede einfach ungeheures Gewicht. Dagegen kommt kein Argument an. Es kann auch niemand einem Argument entgegenhalten "Aber Javrud hat damals in soundso das Gegenteil von dem gesagt!", wie es in jeder Menge immer mindestens einen gegeben hatte, wann immer Javruds Schüler zuvor versucht hatten, in dessen Namen zu sprechen. Aber einem Gott konnte man ungestraft Worte in den Mund legen. Seine Autorität war so unangreifbar wie er selbst wehrlos, sich gegen Missrepräsentation seines Willens zu wehren.
(iii) Javruds Lehre war zu abstrakt für die Dalaraner gewesen. Als Gesellschaft, ideengeschichtlich, sind sie noch längst nicht so weit. Sie brauchen einfachere Erklärungen. Das mit den kosmischen Mächten, denen jedes Lebenwesen ausgeliefert ist, verstehen sie wohl, doch personifizieren sie diese. Der Eine Gott verlangt von ihnen eine Verbesserung ihrer selbst – nicht die nächste Generation, die geboren wird.
(iv) Javrud hatte viele Zeremonien und Riten eingeführt und auch im alten Glauben gab es deren viele. Wie Javrud sagte: Zeremonien und Traditionen hielten eine Gemeinschaft zusammen, gaben ihr das notwendige Gemeinschaftsgefühl. Doch damit die Zeremonie keine leere Hülse ist, muss es etwas geben, das in ihrem Zentrum steht, eine weihende Kraft, ein Sakrament – ein Gott.
Und so setzten Javruds Anhänger den Einen Gott als diese höhere Instanz ein. Ein Gott von Recht und Gesetz und all den Tugenden, die Javrud lobte und lebte.
Und langsam gewann die Gemeinschaft ihren Zusammenhalt, ihre Hoffnung, ihren Kampfeswillen zurück.
Nach den ersten Erfolgen wurden dann neun Prediger ausgesandt, die neue Lehre im Namen Javruds und des Einen Gottes bis in die entlegenste Ecke Dalarans zu tragen und alle Stämme und Völker zum Kampf gegen die Dämonen aufzurufen.
Heute - Die zweite Prophezeiung:
In all dem Chaos erstarkt der Einfluss der Behadrim. Die Priester und heiligen Krieger des Einen Gottes streifen durch das Land und verbreiten ihre Lehre unter dem gefrusteten Volk. An vielen Orten werden innerhalb von Wochen Abtei und Reifkreuz errichtet und die Männer des Propheten erheben ihre Stimme. Viele von ihnen, so heißt es, sollen Visionen der Zukunft erfahren, manche unter qualvollen Schmerzen. Es verbreitet sich die Legende des Gezeichneten, des Propheten, der zurückkehrt, um die Verräter zu strafen. Und auch wenn Fürst Bulvaj den Einfluss der Behadrim nicht gern sieht, so lässt er sie doch gewähren. Denn die heiligen Krieger säubern das Land von dem Übel und leisten damit wertvolle Hilfestellung für die Truppen in diesem erbarmungslosen Krieg.
Aus dem Artikel über Fersland
Seit dem blutigen Aufstand der Gelspad und der Übernahme des Throns verbreitet sich der Mythos eines Mannes – des Einen. Gezeichneter, Beschwörer, Mal Gani – der Auserwählte. Seine Anhänger in den Ländern reden immer öfter von ihm, und in Hofdag scheinen sie niemals zu schweigen. Und es ist diese Prophezeiung der Behadrim über den Einen, der kommen wird, um das Volk zu befreien vom Joch des falschen Königs, die Wejt I. Gelspad nicht schlafen lässt. Der Legende nach wird der Eine das Reifkreuz als Mal auf seiner Haut tragen und die Ströme der heiligen Kraft in sich vereinen, und es wird sein Schicksal sein, die Welt zu verbessern, so wie es noch vor seiner Geburt geschrieben stand. Es sind diese Reden seiner treuen Priester und der vielen anderen Behadrim, die gerne die Waffe gegen den König erheben, die ihn dazu treiben, jedes Jahr mit größerem Eifer nach Kindern mit dem Mal zu suchen. Doch so sehr sich seine Scharfrichter auch bemühen, noch hat ihre Suche nicht gefruchtet.
Aus dem Artikel "Behadrim – Die heiligen Krieger"
Vor der Schlacht, die seine letzte werden wollte, beschlich Javrud eine Vorahnung. Die Vorahnung seines eigenen Todes. Eigentlich glaubte er ja nicht an so etwas. Und doch...
Er wandte sich an seine engsten Vertrauten und machte ihnen ein letztes Versprechen. Wenn er in der heutigen Schlacht fallen solle, oder in einer der noch folgenden, so sollten sie nicht verzagen. Er werde wiederkommen. In einer neuen Gestalt, einem neuen Leben. Wenn es auf der Welt noch Luonnatar gäbe, wenn sie nicht bis zum letzten Mann, Weib und Kind von den Skoll-Hati ausgelöscht worden seien, so werde er unter ihnen wiedergeboren werden. Und egal wieviel Zeit vergangen sei, er werde sich daran erinnern, was die wahre Berufung seiner Seele sei: er werde nach Dalaran zurückfinden und dann werde er sie zum Sieg gegen die Dämonen führen. Aushalten sollten sie nur so lange. Aushalten und auf ihn warten.
So weit Javruds Versprechen. So ganz erklären sie nicht, was es mit den Visionen der Priester und Mönche auf sich hat (s.o., oberes Zitat), hauptsächlich im südlichen Fersland, und stets nahe von Orten, die Javrud einst aufgesucht hatte, auf seiner Suchen nach Bündnissen. Woher kam der Gedanke des Gezeichneten? Woher jener, dass er die Verräter—welche Verräter?—bestrafen würde? Wer hatte als erster behauptet—oder war es eine Vision?—dass der Gezeichnete das Volk vom Joch des falschen Königs befreien würde (s.o., zweites Zitat)? Warum nahm Wejt diese Gerüchte so ernst? Warum suchte er nach dem Gezeichneten unter den Kindern des Landes? Wenn der Gezeichnete doch ein reinkarnierter Javrud war... oder nicht?