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« am: 28.06.2011, 12:09:59 »
Hermene wendete für keine Sekunde die Augen von dem Mann, auch nicht, als dieser Peter sich aufmachte, dem Befehl Armins zu gehorchen und die beiden alleine zu lassen. Zu viele Überraschungen hatte sie an jenem Abend schon erlebt, als dass sie sich zu solcherlei Unvorsichtigkeiten hinreißen lassen würde. Obgleich, der Herr hatte seine schützende Hand über ihr, so viel war gewiss.
Als Armin schließlich weiter sprach, warf sie ihre Stirn in altbekannte Falten. Insbesondere die Furche auf ihrer Stirn war sehr prägnant, denn der Mann hatte durchaus etwas geschafft, was Hermene keineswegs leiden mochte: Er hatte sie überrascht. Etwas schien damals nicht mit rechten Dingen zuzugehen – erst der Schütze, welcher sie trotz ihres heiligen Schutzen sehen, ausmachen konnte, und nun dieser Mann, welcher offensichtlich bestens Bescheid wusste über ihre ebenso erfolglose wie unnütze Auseinandersetzung mit dem Angreifer. Fraglich ist indes, ob es rein logisches Denken war, das ihm dieses Wissen beschaffte, er seherische Fähigkeiten besaß, er mit dem Schützen unter einer Decke steckte oder...er vielleicht der Schütze war? Hermene ließ ihren Blick den Körper des Mannes entlangfahren, um abzuschätzen, ob die Größe übereinstimmen könnte. Sie versucht dies erst gar nicht unauffällig zu machen – denn wie sollte dies gelingen, sitzt Armin ihr doch direkt gegenüber.
„Nun, werter Armin“, sprach sie schließlich, und zögerte einen Augenblick. „Oder...wie genau soll ich Sie nennen, wenn ich fragen darf? Ich möchte nicht unhöflich erscheinen“, fügte sie hinzu, und meinte dies aufrichtig. „Ich denke, ich spreche für uns beide, wenn ich eine offene Sprache vorschlage. Indes kann man nicht von Glück sprechen – der Herr lenkt meine Geschicke, und seine Augen ruhen stets auf mir“, erklärte sie mit einem schmalen Lächeln. „Ich bemerkte durchaus, dass der Schütze offensichtlich gut ausgebildet ist – was, offen gestanden, eine Überraschung war. Er hat einen dieser Studenten erwischt, jung, unerfahren und schwach. Die Oberin kümmert sich um ihn, und offensichtlich hat sie mich zu Ihnen geschickt, um Ihre Hilfe zu erbitten. Also...wollen Sie mir sagen, wie Sie uns helfen könnten?“
Hermene bemerkte, dass Armin scheinbar zumindest passabel französisch sprach. Auch wenn sie keine direkten Vorteile erkennen konnte, wenn sie seine Kenntnisse einer weiteren Prüfung unterzog, so erhoffte sie sich wenigstens einen kleinen geistigen Schlagabtausch mit dem Mann, und zudem wären die Worte für eventuelle Mithörer, sollte es sie geben, zusätzlich verschlüsselt gewesen. Nicht allzu viele Leute waren in der Sprache in erheblichem Maße bewandert in Norddeutschland. „La gangrène est-elle généré par un baguette magique, monsieur? Par un rayon verdâtre?“ Hermene blickte ihn weiterhin durchdringend an. Sie schien keinerlei Unbequemlichkeit ob der ituation zu empfinden.