Das klang nicht gut, was Altena da aus Tal berichtete. Offenbar war die Situation dort völlig außer Kontrolle geraten, auf beiden Seiten, "Gesindel" und "Führung". So sah Cesare das zumindest. Marodierende Leperos waren schlecht fürs Geschäft, das versuchte man doch besser zu vermeiden. Abgesehen davon, dass niemand so enden wollte wie die Ostwindschar.
Die Ankunft in der Schrotterabsteige ließ Cesare im Stillen aufatmen. Endlich warm! Endlich Menschen, die er halbwegs verstand, deren Verhalten er einschätzen konnte, weil ihre Bedürfnisse (anders als bei seinen Weggefährten) nur allzu menschliche waren, und menschliche Bedürfnisse waren Cesares Metier. Sie waren sein Zugang zu den Menschen. Sie machten jeden manipulierbar.
Und das Thema, das Uther und die beiden anderen Schrotter da ansprachen, war auch gleich eines, mit dem Cesare sich besonders gut auskannte.
"Ah", kommentierte er,
"das sind Gedanken, die wärmen."Und Cesare begann, über Brüste zu reden. Schnell wurde klar, dass man hier einen echten Kenner und Liebhaber der Materie vor sich hatte; nach einer Viertelstunde hingen die Schrotter noch immer an seinen Lippen, die Augen starr, die Blicke neblig.
Er begann mit einer für ihn trivialen Aussage:
"Das einzige Himmelreich, das uns ist geblieben, wir finden zwischen den Brüsten einer Frau."Dann ließ er sich von den Schrottern erzählen, wie denn ihre Traumbrüste aussähen, wie sie sich anfühlten, wie sie röchen und schmeckten, welche Form und Farbe die Brustwarzen hätten, wie schwer die Brust in der Hand liegen dürfte. Obwohl die Beschreibungen der Männer einfallslos blieben, zeigte sich: keine glich der anderen.
An dieser Stelle mochten die beiden Frauen noch denken: Oh bitte, was will der Kerl? Doch kurze Zeit später waren auch sie von Cesares Erzählung gebannt.
Denn nun erzählte Cesare von den Brüsten, die er bisher gesehen, bewundert, berührt hatte. Und irgendwas an seiner Erzählung war anders. Nicht nur waren seine Beschreibungen so lebendig, dass die Zuhörer fast sehen, fühlen, riechen und schmecken konnten, was Cesare da ihren Sinnen präsentierte, nicht nur fand er inmitten der Menge immer auch die Individualität, denn für ihn waren die Brüste einer Frau so individuell wie ihr Charakter oder die Linien ihres Gesichtes, sondern seine Worte waren auch—trotz einiger befremdlicher Ausdrücke und etlicher Vokabellücken, die er mit Umschreibungen überbrücken musste—niemals profan, niemals pornografisch, irgendwie... poetisch, jedenfalls einen tiefsten Respekt vor dem schönen Geschlecht bezeugend. Er schien das Heilige in jeder Frau zu suchen—und zu finden.
Als Steigerung erzählte er schließlich von den fünf eindrucksvollsten Paar Brüsten, die er je gesehen und in allen Fällen bis auf einen auch mit drei weiteren Sinnen gründlich erkundet hatte. Am ausführlichsten allerdings berichtete er dann genau von dieser Ausnahme: Odette. Ansehen ja, anfassen nein. Jedenfalls hatte das für ihn gegolten. Nicht seine Preisklasse. Kaum einer konnte sie sich leisten. Odette. Aber schauen durfte jeder. Makellose, kastanienbraune Haut, kurz geschorenes schwarzes Haar, ein bleistiftdünn-gefeilter Knochen durch die Nasenscheidewand, ein Dutzend goldene Ringe an jedem Ohr und ebensoviele goldene Reife an Hand- und Fußgelenken, die rasselten, wenn sie tanzte... wenn die Schleier und Seidentücher fielen, sie mit den Hüften wiegte, von denen aller Schwung ausging; Schulter, Arme, Kopf, das alles blieb ruhig und die Füße taten nur das notwendigste, aber dazwischen bewegte sich alles; mal fließend, lockend, schlangengleich, dann plötzlich zügellos ekstatisch, und noch immer fielen die Hüllen; endlich auch von den Brüsten, goldene Ringe auch hier, durch die Warze gestochen, an jedem ein Ende eines goldenen Kettchens, das wie der Träger eines Büstiers um Odettes Hals geschlungen war und doch irgendwie raffinierter, denn wenn sie Kopf und Schultern bewegte, so bewegten ihre Brüste sich symphonisch dazu. Kann man das in Borcisch so sagen? Jedenfalls geriet nichts aus dem Takt, blieb alles fließend, harmonisch, dass der hypnotisierte Zuschauer den Blick nicht abwenden konnte...
"Und?" fragte Cesare schließlich.
"Was es gibt zu bewundern hier bei euch? Welche Neuigkeit man sich erzählt? Was man muss haben gesehen, wie man sich vergnügt, welcher Gefahr man geht besser aus dem Weg?"[1]