Als die Abenteurer wieder zu sich kamen, standen sie mit dem Rücken an die Pfähle gelehnt. Ihre Kleidung hatte man ihnen genommen und durch einfaches Sackleinen ersetzt, wie sie es zuvor bei den drei Gefangenen an der Mühle gesehen hatten. Von der ehemaligen Ausrüstung war nichts zu sehen. Keine Rüstung, keine Waffen, kein Beutel mit blauen Steinen! Dafür hatte der Schmied, während des durch das Gift hervorgerufenen Schlafes, ganze Arbeit geleistet. Sowohl die Hände, als auch die Füsse, waren in Ketten geschmiedet worden. An den Gelenken waren durch den Funkenflug beim Schmieden kleine Brandwunden entstanden, die ekelhaft juckten. Immerhin schien der Schmied sein Handwerk zu verstehen und hatte nicht aus Versehen oder gehässiger Absicht einige Finger und Knöchel zu Brei gehauen. 30 cm lange Ketten mit 1 cm dicken Kettengliedern verbanden jeweils Hände und Füsse. Man hatte das Kettenstück der Hände über einen Haken im Stamm gehängt, um ein Hinabrutschen zu verhindern. Die Druckstellen an den Handgelenken schmerzten höllisch und die tauben Finger kribbelten unangenehm.
Hinter jedem Pfosten hatte ein Ork mit Peitsche Position bezogen. Haplo wurde übel, als er sich in Gedanken ausmalte, was nun folgen würde. Die spärliche Kleidung verdeckte kaum seine Arme und Brust. Deutlich konnten kleine Male, Tätowierungen ähnlich, auf linker und rechter Brust, sowie an beiden Unterarmen ausgemacht werden. Hatte sich Haplo nicht häufig genau an dieser Stelle über dem Herzen gekratzt?
Vor den Abenteurern hatte sich ein alter Ork in runenverzierter Ledertunika aufgebaut. In seinen Händen hielt er einen grossen Tontopf mit Korkdeckel. Geduldig wartete der Mann auf etwas oder jemanden. Doch er wartete nicht allein. Das gesamt Orkdorf, das sich ebenfalls vor den Pfosten eingefunden hatte und die Gebundenen unverhohlen angaffte, wartete ebenfalls. Die durchdringenden Blicke von mehr als 300 Augenpaaren liessen Qariel unruhig hin und herschaukeln. Hatte er die richtige Entscheidung getroffen bei deinen Freunden zu bleiben oder wäre es klug gewesen, sich zu den Zwergen zu gesellen?
Mehrere Minuten verstrichen, in denen die Orks beharrlich schwiegen und jeden Kommentar der Schicksalsucher ignorierten. Doch dann bewegte sich etwas beim grossen Steinturm im Süden. Das riesige Portal wurde aufgestossen und eine drei Meter grosse Kreatur verliess das Innere des Turms. Grüne Haut am Kopf, ganz wie die natürliche Hautfarbe der Orks. Die Arme jedoch hatten einen gelben Hautton. Doch das Auffallendste war das irre Grinsen, als er in Richtung der Auspeitschungsstätte blickte. Als er sich den Abenteurern näherte, wandelte sich sein Grinsen in ein liebreizendes Lächeln. In Kreisen um die Stämme laufend begutachtete er jeden der Gebundenen. Dabei machte er einen frohen Eindruck, als ob er erfreut wäre, neue Menschen zu sehen. Nur bei Qariel verzog er angewidert das Gesicht, sagte aber nichts.
"Ist das schön, euch zu sehen", sagte Xred beinahe schwärmerisch. "Wir lieben Gäste über Alles und ich bin mir sicher, dass ihr euren Urlaub geniessen werdet!"
Sein Blick wandte sich der blonden Frau zu, die noch immer angekettet in der Nähe der Mühle saß. In fast schon mütterlichem Ton sprach Xred mit einigen Pausen zu den Abenteurern.
"Schaut sie euch an! Ist sie nicht süß? Und sie ist mein, nur mein, und dewegen mag ich es hier in der Zhentilfeste so sehr ... Nein, das ist nicht das, was ich sagen wollte! Was wollte ich nochmal sagen?"
"Ah, ja! Sie wird euren Urlaub lieben ... nein ... ihr werdet ihren Urlaub lieben ... äh! ... das macht nichts, solange Manshoon auf seiner schwarzen Agatha weg ist. Aber darum ist der Niewinterwald ein so gefährlicher Ort, stimmts?"
"Nein, nein! Xred muss seine Gäste beschützen. Ihr dürft nicht in den Niewinterwald, müsst ihr wissen! Agatha wird wahrscheinlich Manshoon reiten ... nein ... wie albern von mir. Ich wollte sagen, der schwarze Drache reitet Manshoons Agatha hier im Wald. Ja, das wars! Das wollte ich sagen."
"Ich bin mir sicher, euch gefällt es hier. Es gibt so viel zu tun. Und die Mühlen sind so schön. Und Söggrin ist so schön ... aber nicht für euch! Nein, nein, nur für Xred! Aber die Zeit ist noch nicht reif. Aber es muss geschehen, bevor Manshoon seine schwarze Agatha fliegt."
"Und ihr müsst lernen, nicht das Lager zu verlassen! Der Niewinterwald ist ein sehr gefährlicher Ort! Überall Agathas des schwarzen Manshoon! Aber man benötigt Disziplin, um im Lager zu bleiben. Ja, das ist nötig! Und ihr werdet Disziplin am besten lernen, wenn ihr zu spüren bekommt, was passiert, wenn ihr nicht gehorcht."
Xred wandte sich dem Ork in der Ledertunika zu und befahl: "Grazzght, hilf unseren Freunden. Gib ihnen eine gute, lange, freie Lektion in Disziplin. So lernen sie am schnellsten, hier in unserem Lager zu bleiben und nicht in den Wald zu gehen!" Lächelnd verabschiedete sich Xred und ging zu seinem Turm zurück.
"Okay", sagte der alte Ork. Und wieder erklang grausam schlechte Gemeinsprache. "Start einer guten Lektion. Ihr lernt bei Xred bleiben. Nicht gehen in Wald. Lektion sehr gut. Macht sehr viel Aua, aber Lektion sehr gut. Wenn Lektion fertig, Grazzght wird schön heilen. Ihr nicht lernen. Grazzght neue Lektion geben."
Der alte Ork vollführte eine winkende Geste mit der rechten Hand, woraufhin die Orks mit den Peitschen näherrückten. Alle Bemühungen sich keine Schmerzen anmerken zu lassen, scheiterten, als die Orks immer und immer wieder zuschlugen. Endlich umfing nach und nach der wohlige Mantel der Bewusstlosigkeit einen nach dem anderen und sie waren nicht mehr gezwungen die gellenden Schreie ihrer Freunde mit anzuhören.
29. Mirtul - Niewinterwald - 13 bis 20 °C - gelegentliches Nieseln
Obwohl von Zeit zu Zeit die schmerzenden Rücken die Abenteurer erwachen liessen, gelang es ihnen dennoch zu schlafen. Der alte Ork hatte ihnen etwas aus seinem Topf zu trinken gegeben, was die Schmerzen linderte, aber nicht ganz verblassen liess. Die Erinnerung an das bitterscharfe Gesöff liess Frederick würgen. Was für eine Barbarei! Schmerzen konnten doch auf so viel angenehmere Weise gemildert werden.
Aariyah wachte kurz nach Frederick auf und schaute sich in der neuen Umgebung um. Sie waren in eine Höhle gebracht worden. Nur in Sackleinen gehüllt, hatten sie hier auf kaltem Steinboden und ein wenig Stroh die Nacht verbracht.
Ein metallener Stab lief knapp über dem Boden entlang und verschwand auf beiden Seiten hinter die Sicht versperrenden Felsen, so dass man nicht sehen konnte, wie er verankert war. Die Fussfesseln waren unter dieser Stab eingefädelt worden und schränkten die Bewegung ein.
Die Frau, die man draussen angekettet gesehen hatte, lag hier ausser Reichweite an der gegenüberliegende Wand und schlief noch. Die beiden Männer, die an der Mühle gearbeitet hatten, sind wach und beobachten wachen Auges die langsam erwachenden Schicksalsucher.
Einer der Gefangenen, der Jüngere der beiden, sprach die Neuen direkt an. "Schön euch zu treffen.", sagte er und kichert ob der Ironie seiner eigenen Worte. "Ich bin Blondung.", er zeigte zum älteren Mann. "Der da ist Von Fedel." Zur Schlafenden nickend sagte er: "Die da drüben ist Söggrin. Wenn ihr mit uns an der Mühle arbeitet, benehmt euch. Denn es steht stets ein Ork mit Peitsche bereit. Solange ihr euch gut benehmt, bekommt ihr nur ein bis zwei Schläge pro Tag - quasi als Warnung. Mach ihr Ärger, müssen auch die anderen Bestrafungen erleiden! Dennoch wollen sie uns nicht wirklich ernsthaft verletzen. Ganz im Gegenteil. Sie wollen, dass wir bei Kräften bleiben, damit wir die harte Arbeit leisten können. Solltet ihr krank werden oder verletzt sein, wird Xred Grazzght befehlen, euch zu heilen. Einige Orks werden sogar auf die Jagd geschickt, damit wir einigermassen gutes Fleisch zu essen bekommen. Aus irgendeinem Grund ist es für Xred äußerst wichtig, dass wir an der Mühle arbeiten. Ich habe keine Ahnung, warum er es nicht seine Orks tun lässt, sind sie doch stärker als wir."
Der ältere der beiden Männer erwachte. In seinen Augen konnte man Wahnsinn lauern sehen. "Ich weiss warum. Weil er total verrückt ist. Darum! Gelobt sei die dunkle Sonne! Ich bin Von Fedel."
Durch den Ausruf aufgeschreckt, erwachte nun auch die junge Frau. Sie sah die Mitgefangenen an, zuckte mit den Schultern und sagte: "Zu schade. Nun müssen Von Fedel und Blondung nicht mehr so hart arbeiten." Ihr Gesichtsausdruck erhellte sich und sie fuhr fort. "Vielleicht gibt das Xred einen Vorwand sie wieder auszupeitschen. Die beiden Dummköpfe sind zhentarische Schwächlinge. Mein Vater ist ein Krieger des Schwarzer Rabe Stamm Uthgardts! Manshoon hat mich gefangen genommen und diese Idioten waren meine Wachen. Blondung hier, ist ein Zhentarim Magier und Von Fedel ist ein Priester Cyrics. Passt auf ihn auf. Er ist zwar ein nutzloser Dummkopf, aber fast genauso weich in der Birne wie Xred! Wenn ihr die Gelegenheit bekommt, sie zu töten, dann tut das!"
"Gleich sollte das Frühstück kommen. Esst reichlich. Sie werden euch auch dazu verdonnern, Schöllkrautsamen zu mahlen. Ich werde wieder an dem Felsen angekettet. Xred will anscheinend nicht, dass ich arbeite, aber ich soll zusehen. Er denkt, dass er mich zur Frau haben kann, doch da irrt er sich. Ich werde ihm die Augen auskratzen!" beendete sie wütend.