7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 05:41 Uhr - Gut Emkendorf
Major von Stiehle schüttelte den Kopf energisch.
"Solange kein ausreichender Beweis erbracht ist, dass die Unterschrift gefälscht wurde, wird die diplomatische Notwendigkeit uns darauf festnageln. Das Problem ist, dass des Grafen von Usedom Aussage nicht reichen wird, um die Briten und die Franzosen von der Wahrheit dieser Fälschung zu überzeugen. Das ist diese verdammte Crux mit diesen Geheimverträgen. Ich sage Ihnen, diese ganze, diplomatische Geheimniskrämerei, sie wird noch ernsthafte Konsequenzen haben. Kaum einer der eigenen Männer weiß, was der Nächste tut, weil er und der andere jeweils ein Geheimnis für die beste Art des Handelns erachtet. Meinethalben sollte man dies im Rahmen eines - wie nennen die Briten es noch - Gentlemen's Agreement[1] verbieten. Wir Preußen predigen doch sonst immer, dass das Flagge zeigen das Größte ist." In des Majors Stimme war ein deutlicher Ärger zu vernehmen über die Ereignisse.
"Das ist eine Schuld dieser übertriebenen Diplomatie, welche Ehrlichkeit und Worttreue schwört und doch nur aus Lüge besteht. Und genau deshalb wird Preußen nicht einfach sagen können, dass es eine Fälschung ist, ohne einen Beweis zu haben. Die Feinde Preußens werden das als Wortbrüchigkeit auslegen und versuchen, Preußen damit außenpolitisch zu isolieren. Und darauf bauen der Herzog und die Dänen doch, falls Sie mich fragen, Herr Leutnant. Sie fürchten Preußens Vorgehen und das Preußen die Position des Herzogs in Frage stellt. Und um ein Zeichen zu setzen, hat der Generalfeldmarschall und sein Stab mich damit beauftragt, dieses unmissverständliche Zeichen an den selbsternannten Herzog zu senden, dass wir uns nicht mit einer Fälschung zu einem bestimmten politischen Handeln erpressen lassen. Deswegen erwirkt Preußen, unter anderem, in der Bundesexekution, dass es Sache der Garantiemächte ist, die Ruhe in Schleswig und Holstein wieder herzustellen. Damit wird der Herzog von seinen Befürwortern im deutschen Bund getrennt. Aber dank Ihres Wissen um den Verbleib des Vertrages öffnen sich uns ganz neue Möglichkeit. Wir können diese Lügner und diesen Usurpator bloßstellen und entwaffnen."Der Major kraulte sich nachdenklich den Bart und wollte scheinbar etwas nachsetzen, als sich die Tür öffnete und der Reiter wieder erschien. Die halbe Stunde hatte der Herzog nicht ganz ausgereizt. Stiehle blickte prüfend auf seine Taschenuhr, die er aus der rechten Tasche seiner Offiziersjacke zog. 22 Minuten waren vergangen. Augenscheinlich war der Major von Stiehle ein ziemlich genauer Beobachter jeglicher Ereignisse, was nicht verwunderte, da er eine Falle erwartete. Thoralf nickte dem Major zu.
"Der Herzog ist bereit sie in seinem provisorischen Büro zu empfangen", was der Major nur mit einem Nicken bekräftigte. Er gab Carl das Zeichen, ihm zu folgen, was der blondhaarige, o-beinige Reiter mit einem Schlucken aufnahm. Damit hatte er augenscheinlich nicht gerechnet.
"Erlauben Sie, dass ich Sie dem Herzog nochmal gesondert ankündige.", sagte der blondhaarige Reiter plötzlich, doch Major von Stiehle lächelte nur.
"Das brauchen Sie nicht, Herr?" Gustav von Stiehle machte eine Pause, um den Namen des Reiters zu erfahren, der jedoch versteinert in der Tür stand und keine Antwort gab.
"Der Herzog hat uns ja nun dreißig Minuten warten lassen, da wird er schon wissen, dass wir jetzt erscheinen." Der blondhaarige, junge Mann wollte etwas erwidern, doch da schob sich der Major bereits an ihm vorbei mit Carl im Schlepptau.
Wenige Schritte später standen sie schon im provisorischen Büro, in dem Carl noch vor einer halben Stunden mit der Herzog beim Frühstück saß. Es war noch duster draußen, die Sonne würde erst in einer Stunde wirklich sichtbar werden, wenn das Wetter dies überhaupt zuließ. Carl fiel auf, dass das Frühstück weggeräumt war und der Herzog entspannt im Sessel saß. Er hatte sich eine Pfeife angesteckt und trug eine Art kleine Lesebrille. Er trug jetzt hochwertigere und etwas weiter geschnittene Kleidung, einen ordentlichen Anzug auf dem ein Orden prangte. Dieser Orden bestach durch seine Schlichtheit, ein Kreuz, auf dem das holsteinische Nesselblatt
[2] und die beiden schreitenden, schleswigschen Löwen
[3] abgebildet waren. Es hing an einem blau-weiß-roten Band herab. Neben den beiden Wappenteilen standen die Jahreszahlen 1848 und 1849. Ein Erinnerungskreuz an die erste schleswig-holsteinische Erhebung. Der Herzog hatte sich wirklich vorbereitet, trug er nun eine Aura des Trotzes, aber auch des Weltmännischen mit sich herum. Der im Kampf so aufgelöste und danach so nachdenkliche Herzog, er wirkte das erste Mal zum Kampfe gerüstet. Nur kurz ließ er durchblicken, dass er von Carls Auftauchen verwundert war, doch er schluckte seine Verwunderung schnell wieder herunter, aber an Stiehles Lächeln erkannte Carl, dass Stiehles kurzgefasstes Manöver erfolgreich gewesen war.
Der Herzog stand auf und begrüßte den Major förmlich. Der Herzog schien zu riechen, dass Preußen ihn nicht anerkannte und dementsprechend auch nicht die Förmlichkeit entgegenbrachte, die er als Herzog in dieser Situation gerne gesehen hätte.
"Seien Sie mir gegrüßt, Major von Stiehle. Was bringen Sie für Kunde aus Berlin?"Major von Stiehle nahm die Hand des Herzogs entgegen und hielt dann die Offiziersmütze hinter dem Rücken.
"Aus Berlin? In erster Linie bringe ich Nachrichten aus Frankfurt. Der Bundestag beschließt in diesem Moment die Bundesexekution gegen Holstein. Meine Nachricht aus Berlin ist eine Konsequenz dieser Nachricht, Herr von Augustenburg-Sonderburg." Der Herzog verzog das Gesicht, als Major von Stiehle den Herzog wie einen Zivilisten ansprach. Zwar hätte von Stiehle ihn immer noch wie einen Adeligen ansprechen müssen, aber der Major erhob sich über diese Etikette, augenscheinlich um den Herzog zu provozieren, was ihm gelang.
"Ihr selbsterklärter Regierungsanspruch endet hiermit. Sächsische und hannoveranische Truppen werden die Bundesexekution noch vor dem Weihnachtsfest durchführen. In Anbetracht dessen, wie viele holsteinische Truppen desertiert sind und dem dänischen König und ihnen die Gefolgschaft verweigert haben, wird es externen Bundesmitglieder brauchen, um sie alle zur Räson zu bringen. Der preußische Ministerpräsident bietet ihnen Folgendes an: Sie reisen noch heute mit mir nach Kiel und erklären dort ihre Proklamation für ungültig und verhindern, dass Sie sich zum Landesherrn ausrufen lassen. Im Gegensatz erhalten sie einen Altersruhesitz und eine Rente für Sie und Ihre Familie. Wir brauchen nicht darüber streiten, dass Ihre Thronbesteigung - wie Sie diese gern nennen - unrechtmäßig ist."Der Herzog bekam einen wütenden Blick, aber atmete einmal tief durch, ehe er antwortete.
"Mein lieber Herr Stiehle." Auch er nahm Stiehle den Adelsrang.
"Sie nehmen sich in meinem Haus ganz schön viel raus. Sie vergessen, dass ich in Besitz des Vertrages bin!" Hilfesuchend blickte er zu Carl, als ob dieser es bestätigen könnte und ließ seine Worte zur Drohung werden. Stiehle verzog das Gesicht, aber Carl erkannte, dass er mitspielte. Dafür, dass er die Diplomatie so sehr verachtete, spielte Stiehle dieses Spiel ziemlich bravourös. Er antwortete verärgert.
"Und warum bekommen unsere Botschafter dann nicht die versprochenen Abschriften?" Diese Aussage ließ des Herzogs Blick augenblicklich weicher werden, scheinbar wähnte er sich darin, dass Carl dem Preußen noch nichts über den Verlust des Vertrages gesagt hatte.
"Sehen Sie, Major von Stiehle", gewann der Herzog nun seine Fassung zurück und zeigte auf den Orden.
"Dieses Erinnerungskreuz ist aus den Kanonen der Christian VIII.[4] hergestellt, als Zeichen unseres Widerstandes. Ein solcher Widerstand braucht ein gewisses Fundament und als solches, eine sehr sorgfältige Arbeit. Gerade wenn es um die selbstbestimmte Freiheit eines Volkes geht!"Major von Stiehle schaubte verächtlich und schaute dann lächelnd zu Carl. Die rechte Augenbraue des Herzogs zuckte kurz, als er dem Blick folgte. Stiehle wollte, dass Carl seine Meinung äußerte. Das war unmissverständlich.
Damit zwang Stiehle von Lütjenburg dazu, Flagge zu bekennen. Er lenkte Carls Preußentum mit voller Kraft gegen des Herzogs Ambitionen. Doch welche Konsequenzen würde es haben, wenn Carl sich jetzt entschied? Wenn er sich jetzt für von Stiehle aussprach, dann würde die Macht des Vertrages an diesem Ort schwinden. Die Preußen würde klar machen, dass sie dem Vertrag keine Bedeutung mehr beimessen würden und versuchen würden, ihn aufzuheben. Ja, Carl konnte gut abschätzen, was sein nächster Auftrag sein würde. Er würde den Vertrag besorgen müssen. Stiehle machte, obwohl er kein Wort darüber verlor, keinen Hehl daraus. Es war die unweigerliche Folge. Gleichzeitig sprach von Stiehle davon, dass Sachsen und Hannover die Bundesexekution in Holstein umsetzen würden, aber gleichzeitig mobilisierte sich die preußische Armee. Es konnte nur bedeuten, dass Preußen mit Widerstand rechnete und glaubte, dass die Bundesexekution alleine nicht reichte. Carl stand vor einer schweren Entscheidung: sich auf einen scheinbar gefälschten Vertrag verlassen und dafür Frieden wahren, so er brüchig er auch erst einmal sein mochte, oder sich für Preußen aussprechen, wie es seiner Gesinnung geschuldet schien und dafür seine Heimat mit Krieg überziehen...oder gab es einen Ausweg aus diesem Dilemma?