Während Shira, Wilbur und Bergi langsam aber sicher in den stinkenden, modrigen Keller hinabstiegen und dabei von knarrenden Treppenstufen begleitet wurden, näherte sich Gerion vorsichtig dem Wesen, dass ihn beobachtet hatte. Auch Nasreddin hatte ein Rascheln gehört und mitbekommen, dass irgendetwas aus dem Wald sie beobachtete. Kein gutes Zeichen, wenn man die Geschichten über den Finstermondwald kannte. Trotz all den Gefahren, die hier lauern konnten, ging der Waldläufer mutig voraus und täuschte vor, nach weiteren Spuren zu suchen. Schon nach wenigen Sekunden, trug dieses Vorgehen ersten Früchte, als er einen genaueren Blick auf das Wesen werfen konnte.
Erst waren nur Zweige und sogar kleine Brombeeren zu erkennen, die nicht zu dem Strauch davor passen wollten - denn der trug keine Beeren - aber schon bald sah Gerion, dass es einzelne Zweige waren, die sich in langen, verworrenen, nussbraunen Haaren verfangen hatten. Je näher er kam, desto mehr konnte er erkennen. Erst kam eine verdreckte Stirn in Sicht und schließlich zwei kleine, grüne Augen, die ihn voller Angst anstarrten aber ihrer Form nach, einem Menschen gehören mussten. Der Mensch schien zu erkennen, dass er entdeckt worden war, sprang auf und flüchtete hinter einen nahen Baum. Der kurze Moment reichte aber um zu erkennen, dass es sich um ein junges Mädchen handeln musste. Sie war spindeldürr und trug ein gelbes, verdrecktes Kleid, dass ihren dunkel gefleckten Körper - ein Haufen Dreck, Erde und sogar getrocknetes Blut - verdeckte.
Vorsichtig lugte sie hinter dem Baum hervor und beobachtete Gerion und Nasreddin aus einer Mischung von Angst, Hoffnung und Neugier. Selbst aus der Entfernung konnten sie sehen, wie sie mit beiden dünnen Ärmchen, eine alte Stoffpuppe umklammert hielt. Hatten die beiden Männer am Waldrand gerade vielleicht eines der vermissten Kinder gefunden?
Von dieser positiven Wendung bekam der Rest der Gruppe, der sich langsam aber sicher in den stinkenden Keller begeben hatte, nichts mit. Sie mussten sich zu sehr darauf konzentrieren, nicht ihren Mageninhalt auf dem kalten Steinboden zu verteilen. Der Anblick, der sich ihnen bot, wollte nicht Recht zu einem Kinderheim passen. Dem ein oder anderem fielen aber vielleicht die Gerüchte ein, die sich über diesen Ort erzählt wurden und langsam schien es so, als würden sie sich bewahrheiten.
Der gesamte Raum bestand aus kalten, trostlosen Steinwänden, die hier und da eine Geschichte voller Pein und Schmerzen zu erzählen haben mochten, wie das getrocknete Blut bewies. Die einzige Fackel, in den Händen des Gnoms, schaffte es kaum die Dunkelheit zu vertreiben, so als würde sie sich durch die Schandtaten, die in den vergangenen Jahren hier begangen worden waren, festgesetzt haben. Ein schartiger, blutbesudelter Eichentisch war an die Wand gelehnt. Im Fackellicht konnte man allerlei Klingen, stachelige Instrumente und sogar eine dornenbesetzte Peitsche erkennen.
[1] Außerdem lag auch ein Bund feuchter, leicht angeschimmelter Kräuter
[2] auf dem Tisch, von dem allerdings nicht der eklige Verwesungsgeruch ausging.
An der hintersten Wand der Folterkammer - oder was dieser Keller in Wirklichkeit auch war - hingen zwei rostige, blutbesudelte Fesseln, die mit einem Bolzen an der Wand befestigt waren. Darunter lag der skelettierte Leichnam eines Humanoiden.
[3] Anscheinend weiblich, denn die Leiche trug noch immer ein, durch getrocknetes Blut braunes Kleid. Der Verwesungsgestank ging von dieser Leiche aus und überlagerte alles andere in diesem Raum. Was auch immer sich hier abgespielt hatte, man würde die Leiche genauer betrachten müssen, um mehr herauszufinden.
[4]