Gerade noch schwankend zwischen Furcht und Starrsinn im Angesicht von Louis' Zorn, zeigten Ingrids, Juans und vor allem Jelenas Worte deutlich Wirkung bei der jungen Frau. Plötzlich schien sie wieder zu merken, welcher Standesunterschied sie von den Reisenden trennte und antwortete nun mit deutlich zurückhaltenderer Stimme.
"Ihr habt Recht, und entschuldigt bitte meinen Ausbruch!" sprach sie, und blickte dabei vor allem Louis an.
"Ihr habt uns aus der Gewalt dieser Banditen befreit, und dafür sind wir Euch tiefen Dank schuldig - und Ihr habt mehr noch damit bewiesen, dass Ihr von anderem Kaliber seid als die sogenannten Edelleute, die uns hier höchstens das Leben schwer machen. Wären alle so wie Ihr, wäre dieses Land wohl in besserem Zustand.
Doch was die Waffen betrifft," fuhr sie fort.
"Der Weg durch den Wald ist gefährlich: Es gibt wilde Tiere, Banditen - denn diese hier sind nicht die einzigen, die den Wald als Zufluchtsort nutzen - und im schlimmsten Fall Schrecken. Wenn wir uns schutzlos ohne Waffen auf den Weg machen, stehen unsere Chancen, heil wieder zuhause anzukommen, nicht gerade gut. Und seid unbesorgt, wir sind zwar keine Schwertmeister, aber die meisten von uns können einigermaßen mit Schwertern umgehen - schließlich haben viele eins zu Hause. Der Krieg ist noch nicht lange vorbei."~~~
Nachdem Jelena jedoch bereits mit der Verteilung der Waffen beschäftigt war und Louis große Zurückhaltung übte, hatte sich die Frage nach der Bewaffnung ohnehin bald erledigt, und es galt nun, die Banditen zu richten. Erich und Friedrich folgten dabei den Vorschlägen des Barons, und es zeigte sich bald, dass unter den Entführten nur wenig Bereitschaft herrschte, ihren Entführern zu verzeihen.
Die Vorgehensweise war immer die gleiche: Erich ließ einen der nun gefangenen Banditen vortreten und fragte die versammelten Opfer, ob jemand bereit sei, für diesen zu sprechen. In den meisten Fällen waren nur wütende Beschimpfungen die Reaktion und die Aufforderung, die- oder denjenigen so grausam wie möglich zu richten. Dank Jelenas Einfluss beruhigte sich die Lage jedoch wieder etwas, und in zwei Fällen traten tatsächlich mehrere der Opfer vor und berichteten, dass die beiden - ein Mann und eine Frau - sich bei der Behandlung der Gefangenen stets zurückhaltend und teils sogar freundlich gezeigt hatten.
Nachdem ihnen das Versprechen abgenommen worden war, sich in Zukunft ehrbar zu verhalten und dem Verbrechen abzuschwören, wurden die beiden wie versprochen in die Freiheit entlassen. Die anderen wurden im Anschluss gerichtet - je nachdem, wie die Gruppe sich geeinigt hatte, durch Erichs Stahl oder durch den Strick.
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Es hatte einige Zeit gedauert, bis die Banditen gerichtet und die Entführten auf den Weg geschickt worden waren, doch schließlich fanden sich die Gefährten, nun in der Begleitung Ingrids, wieder auf dem Weg nach Süden, tiefer in das Zentrum des Waldes, wieder. Sie folgten einem schmalen, doch deutlich zu verfolgenden, Pfad, doch außer einer groben Richtung wussten sie nicht, wo sie ihr Ziel finden würden. Und bisher war ihnen zumindest noch niemand begegnet, der ihnen Näheres zu
Perchta verraten konnte - auch Ingrid schien der Name nichts zu sagen.
Nach einigen Stunden, die sie durch den bedrückend düsteren Wald ritten - dass sein Name gerade
angenehm lautete, schien den Reisenden eher ein Hohn zu sein - gelangten sie schließlich an eine Kreuzung, wo ein etwa gleich breiter zweiter Pfad den ihren in ost-westlicher Richtung querte. Unsicher, welchem sie weiter zu folgen hatten, stieg Jelena vom Pferd ab; und wenn es nur dafür war, um ihre Gedanken zu sortieren. Doch bevor sie wirklich nachdenken konnte, machte sie eine erschütternde Entdeckung: Mitten auf der Kreuzung ragte ein Fingerknochen aus dem Boden!