Werner fragte nicht lange, sondern packte an. Er begann damit, zusammen mit anderen Hilfswilligen die Leichen für den Feuerwehrwagen aus dem Weg zu räumen - und erstarrte: Der Mann, den er da an den Beinen packte, kam ihm unerwartet vertraut vor. Es dauerte einige Momente, bis er das Gesicht zuordnen konnte: Es war einer der Soldaten gewesen, die Heinrich Dray am Tag zuvor begleitet hatten, als dieser ihn auf der Straße passierte! Geschockt von dieser Erkenntnis, ließ er seinen Blick über einige der anderen Leichen schweifen - hier, diese Narbe am Kinn, hatte er gestern ebenfalls gesehen. Und dort, dieses Gesicht, kam ihm ebenfalls bekannt vor! Statt Uniformen trugen sie zwar normale Zivilistenkleidung, doch dies konnte kein Zufall sein.
Den Gedanken zunächst einmal in die Tiefen seines Bewusstseins verdrängend, arbeitete Werner weiter, und es dauerte nicht lange, bis der Platz vor dem Gasthaus aufgeräumt genug war. Inzwischen schlugen die Flammen deutlich aus allen Fenstern des Hauses, und Werner wollte gerade bei der Eimerkette helfen, als er sah, wie die Männer und Frauen der Brandwache begannen, das Wasser direkt aus Schläuchen auf das Gebäude zu
schießen! Dass es so etwas wie Pumpen gab, hatte auch er schon gehört, doch solche für einen solchen Zweck einzusetzen, war ein Geniestreich, der ihm selbst niemals in den Sinn gekommen wäre. Die Wassermengen, die dort auf das Feuer trafen, hätten von zig Eimerträgern nicht aufgebracht werden können.
Einen Moment beobachtete er, wie das Wasser sich zischend und krachend mit dem Feuer duellierte, und es war nicht auszumachen, wer die Oberhand gewinnen würde. Schwaden von Rauch und nun auch Dampf quollen aus der offenen Eingangstür, als Werner plötzlich eine Bewegung innerhalb der Wolken erkannte - dort musste noch jemand am Leben sein! Ohne darüber nachzudenken, sprang er unter den Protestrufen der Löschenden in einen der Wasserstrahle, wo er momentan nassgetränkt war, und lief dann ohne Ansicht der Gefahr für ihn selbst in das brennende Haus.
Ein junger Mann lag auf dem Boden, eine klaffende Wunde in der Brust, die definitiv nicht vom Feuer verursacht war. Er musste eines der Opfer des Angriffes gewesen sein, von dem der Junge erzählt hatte. Die Wunde war zwar scheußlich anzusehen, doch der Mann lebte noch und war schwach bei Bewusstsein, wenn auch nicht wach genug, um selbständig laufen zu können. Als Werner sich ihm näherte, deutete er mit einem zitternden Finger auf eine verkohlte Ledertasche, die ein Stück abseits lag, dann verlor er wieder das Bewusstsein. Werner musste sich entscheiden: Wollte er den Mann so schnell es ging aus der Gefahr bringen, oder versuchte er, die Tasche zu retten, die diesem offenbar so wichtig war?
[1]Kurze Zeit später, ob ohne Tasche oder mit, schleppte Werner den Bewusstlosen, eine Schulter unterstützend,
durch die Pforte, als hinter ihm krachend ein brennender Balken herabstürzte. Sofort half ihm jemand, indem er sich unter der anderen Schulter unterhakte, und gemeinsam schleppten sie den Mann noch ein paar Schritte vom Inferno weg. Erst jetzt konnte Werner dem anderen Mann einen Blick widmen.
"Tristan! Wacht auf! Iehr dürft niescht schlafen!" redete der andere, offenbar ein montaignischer Edelmann, auf den Bewusstlosen Jüngling ein. Nun kamen auch weitere Helfer, darunter eine resolute Frau mit einer Medizintasche, die die beiden Männer wegdrängte und begann, sich um die Wunden zu kümmern.
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Louis war gerade keuchend angekommen, als er den Fremden mit dem Baron aus dem Gasthaus kommen sehen hatte. Nun jedoch blickte er sich nach den beiden Frauen in ihrer Gruppe um - und fand schließlich beide ... unter den Leichen, unrettbar. Als er aufsah, mit Tränen in den Augen, blickte er in die Gesichter seiner eisenländischen Freunde, und auch sie konnten nicht glauben, was sie hier sahen. Schweigend standen die drei mehrere Minuten da und versuchten, ihrer Emotionen Herr zu werden, bevor einer von ihnen sich überwinden konnte, erste Worte zu sprechen.