Geschehen am Abend des Zor, dem 12. Dravago 999 YK
Der Klumpen in seinem Magen will sich einfach nicht wieder auflösen. Dessen Inhalt ist genau in dem Moment zu Eis gefroren, als die Türen zum „Wilden Hund“ sich geöffnet hat und die beiden Fremden die Taverne betreten haben. Fremde für die anderen Gäste wohlgemerkt, denn er hat den einen der beiden auf der Stelle erkannt. Seitdem sitzt er in sich zusammengesunken in seiner Ecke, die Kapuze seines Umhangs tief in die Stirn gezogen und den Kopf nach vorne gebeugt. Er schwankt leicht hin und her, so als er habe er bereits zu tief ins Glas geschaut und stehe kurz davor vorneüber auf die Tischplatte zu kippen.
Doch immer hält er die beiden Neuankömmlinge im Blick und beobachtet, wie sie sich suchend umschauen, an die anderen Gäste herantreten und dem ein oder anderen von ihnen eine Frage stellen. Einer der beiden zeigt einen Zettel herum, vielleicht eine Art Steckbrief, was eigentlich eine rechte Dummheit ist, da die meisten Gäste im „Hund“ es mit dem Gesetz selbst nicht so genau nehmen. Die Blicke der Befragten werden auch sofort abweisend, Schnüfflern würde man hier keine Auskunft geben, selbst wenn man diese geben könnte.
Saal aber weiß es besser. Die zwei sind keine Detektive oder gar Geheimpolizisten. Es sind Mörder, brutale und gnadenlose Killer im Auftrag des Boromar-Clans und ihrem Verhalten nach suchen sie jemanden; jemanden, der ganz bestimmt nicht von ihnen gefunden werden möchte, so wie er selbst. Jemanden, der dem Clan auf eine Art und Weise geschadet hat, die die Familie nicht tolerieren kann und die nur durch die schnelle, blutige Bestrafung durch einen Auftragsmörder angemessen bestraft werden kann.
Für einen kurzen Moment wundert Saal sich, warum die Boromars sein eigenes Vergehen so ernst nehmen. Dann siegt die Furcht. Er drückt sich noch tiefer in die Schatten seiner Ecke und fängt bei nahe an, zu den Göttern zu beten, das niemand, dem er per Zufall aufgefallen sein mag, aus Gier nach ein paar schnell verdienten Galifar sein Schweigen bricht und den beiden den Weg zu ihm weist. Innerlich ist er darauf vorbereitet, seine Haut so teuer wie nur möglich zu verkaufen, ist sich aber bewusst, dass er kaum noch eine Chance hat, heil aus dieser Sache heraus zu kommen.
Inzwischen sind die beiden bei Tirra angelangt, der Abenteurerin aus Sharn, die in den letzten Tagen ein ums andere Mal den Männern den Kopf verdreht hat, um sie dann beim Dolchwerfen zu übertrumpfen und sich so ein nettes Zubrot zu verdienen. Jetzt gefriert auch Saals Blut zu Eis, denn er ist auch einer der Narren, die sich mit der jungen Frau messen zu können glaubten. Sie kennt ihn, aber wird sie ihn auch verraten?
Einen scharfen Blick Tirras auf die beiden Halunken und einen recht kurzen Blick auf das Bild später weiß Saal, dass sie den Mund halten wird. Sie hat sogar die Selbstbeherrschung, nicht zu ihm hinüberzublicken. Sie schüttelt den Kopf und die zwei Männer ziehen weiter, genau auf ihn zu.
Saals Nervosität steigt, denn wenn die eine der beiden Gestalten ihn erkennen sollte, dann ist es völlig gleich, ob sie nun nach ihm suchen oder nach jemand anderem. Für ihn hieße es auf alle Fälle, einen Kampf austragen zu müssen, den er warhrscheinlich nicht gewinnen kann.
Ihre Blicke streifen über ihn hinweg, verharren einen kurzen Moment, dann wandern sie weiter. Saal muss einen Laut der Erleichterung unterdrücken, als die Männer zum nächsten Tisch hinüberschlendern und nach ein paar weiteren, ebenfalls vergeblichen Versuchen den „Wilden Hund“ wieder verlassen.
Saal schüttelt die Beklemmung ab, die ihn befallen hatte, und winkt die Dienstmagd zu sich heran. Schnell drückt er ihr ein paar Münzen in die Hand und winkt ab, als sie ihm das Wechselgeld herausgeben möchte. Für heute hatte er genug Aufregung, er will nur noch hier weg.
Im Hinausgehen muss er an Tirra vorbei. Diese ist gerade im Gespräch mit Auric, ihrem als aktuell amtierenden Heroen Sharns bekannten Begleiter, und unwillkürlich versucht Saal, ein paar Fetzen der Unterhaltung mitanzuhören. „suchten einen Halbling...Boromar...ja, ganz sicher...sie ihn finden...“ Die letzten Worte begleitet Tirra mit einer unmissverständlichen Geste des Halsabschneidens.
Dann überflutet ihn eine Woge der Erleichterung. Ein Halbling...nicht er. Sie sind nicht auf der Suche nach ihm.
Seine Erleichterung ist so groß, dass er nicht einmal auffährt, als er kurz vor dem Eingang rüde zur Seite gerempelt wird. Er kennt den Mann, der sich mit einer gemurmelten Entschuldigung an ihm vorbei drängt, vom Sehen. Da aber trug er die Uniform der Garnison Sharns. Und jetzt scheint er es sehr eilig zu haben, denn kaum ist er draußen, wendet er sich auch schon schnellen Schrittes in Richtung auf das Seeufer und ist nach nur wenigen Metern in der beginnenden Dunkelheit kaum noch auszumachen.