"Ich verstehe", sagt Yekare in einem nachdenklichen, fast meditativen Ton, und wendet sich zunächst von Soranna ab. Ihre schiere Art, die Beteiligten mit Informationen und Wörtern zu überhäufen, die sie nicht benötigen, findet eine geringe Art der Abstoßung am scharfen Verstand der Händlerin. Klare, prägnante Antworten sind alles was ich will. Ihr Geschwafel birgt nichts als Zeitverschwendung, ich bin noch immer genau so schlau wie vorher. Was sie meint, gedacht zu haben, und was nicht, ist nicht im geringsten von Interesse.
Mit ihrer letzten, ausschweifenden Antwort hat sich Soranna ein paar Sympathien bei Yekare verspielt. Hinzu kommt, dass Yekare eine grundsätzliche Abneigung gegen die durchtrainierte, aber überaus attraktive Kämpferin hat. Sie beschließt, keine weiteren Fragen zu stellen, bevor sie noch die ganze Lebensgeschichte des Hauptmanns zu hören bekommt. Stattdessen versucht sie auf ihre eigene, rationale Weise einen Entschluss zu fassen, stets ihre Tante im Hinterkopf habend, die in diesem Ort der Verdammnis gefangen zu sein scheint. Yekare ahnt jedoch nicht, welche Bilder sich in ihrem eigenen Unterbewusstsein abspielen, die ihre Entscheidung auf emotionaler Ebene mehr beeinflussen, als die Rationalität einer Gelehrten es je zu tun vermögten.
Schwerer Nebel liegt in der weiten Steppe, durch die sich langsam und schwerfällig eine große Gruppe Menschen bewegt. Langsam bricht die Dämmerung herein, und der Shoanti Stamm beginnt, ein Lager für die Nacht aufzubauen. Erste Feuer werden entzündet, und die Frauen machen sich daran, einige erlegte Tiere bereit zum grillen über den Flammen zu machen. Sie strippen ihnen die Felle ab, aus denen sie später Kleidung und leichte Rüstungen machen würden, und reiben sie mit ihren traditionellen Gewürzen ein. Der Duft von gegrilltem Fleisch vermischt sich bald mit dem feuchten Geruch der Erde, und verbindet sich zu einem merkwürdigen Zusammenspiel. Ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, steht am Rande des Lagers und beobachtet die trainierenden Soldaten und ihre Schüler. Schwerter klirren aufeinander, Rüstungen klappern, Schilde schlagen auf Körper. Männer gehen zu Boden, aber sie sind nicht tot. Es ist nur gespielt, alles nur Training. Das junge Mädchen weiß es, aber es lässt dennoch keinen Moment die Augen von ihnen. Es geht einige Schritte auf sie zu. Der Älteste des Stammes, ein runzliger, kahlköpfiger Greis, steht auf der anderen Seite des Trainingszirkels, und ihre Blicke kreuzen sich. Der trotzige, geradezu wissende Blick des Mädchens, gefüllt mit allem Ehrgeiz und Intelligenz, die man sich nur vorstellen kann, und auf der anderen Seite alle Weisheit und Tradition, die der Stamm besitzt. Es beginnt zu regnen. Zuerst sind es nur einige schwere, dicke Tropfen, die im Schlamm um das Lager einschlagen und kleine Krater erzeugen. Das Mädchen sieht es genau und ist fasziniert von der puren Macht der Natur. Plötzlich ein Blitz und ein tosender Donner, und der Himmel scheint zusammenzubrechen und in wahren Bächen auf die Erde niederzuschlagen. Das Lager ist in heller Aufruhr, alle rennen kreuz und quer umher und versuchen die Besitztümer des Stammes in Sicherheit zu bringen. Die Soldaten flüchten von Trainingszirkel, und nur das Mädchen bleibt unter freiem Himmel zurück. Sie starrt gebannt nach oben. Welche Macht! Unbeirrt von allem Sturm, Donner und Blitz entfernt sie sich vom Lager und geht weiter auf den Trainingszirkel zu. Macht und Kampf! Ihre Angehörigen schreien nach ihr, aber sie kann nichts hören, zu gefesselt ist sie vom Schauspiel der Naturgewalt, das sich um sie offenbart. Eine schwache Stimme durchdringt den Lärm des Sturmes. "Yekare, bring sie her! Bring sie her! Los, beeil dich! Bring sie her!" Ein junger Mann, kaum älter als das Mädchen, rennt über das Feld und reißt es mit sich. Beide stürzen fast zu Boden, doch sie straucheln nur weiter über das Feld. Ein weiterer Donnerschlag betäubt die Szene, und ein greller Blitz schießt zu Boden herab, und spaltet die Erde genau dort, wo eben noch das Mädchen stand. Doch es ist mittlerweile in den Armen seiner Mutter, die es umklammert. Andere Kämpfer klopfen dem jungen Mann auf die Schultern, doch das Mädchen sieht dies nicht. Sein Blick ist gefangen in dem des Ältesten, der es durch das Chaos der Szenerie anstiert, als wäre es ein fremdartiges Wesen. Kampf...
Yekares Blick wandert plötzlich wie wild umher, und sie atmet schneller, so als wäre sie gerannt. Sie reißt eine ihrer Hände hoch und wischt sich über den Mund. Sie dreht sich weg von den anderen Anwesenden, hustet, und wischt sich über die Zunge, als wollte sie etwas wegwischen. Im nächsten Moment ist der erdige Geschmack wieder verschwunden, und die Händlerin beruhigt sich. Was ist das...Woher kommt es? Doch sie findet keine Antwort.
Sie blickt Soranna ernst an und nickt ihr zu. "Ich werde Euch helfen."