Es ist Tulin zwar anzusehen, dass er die Vorhut übernehmen wolle, doch scheint der Zwerg schnell einzusehen, dass es angebracht ist, in einigen Situationen seinen Stolz beiseite zu schieben. Mit einem Nicken kommentiert er den Vorschlag seines Bruders und wartet darauf, dass die Kolonne durch den Spalt geschritten ist.
Dies gestaltet sich allerdings schwieriger als gedacht, denn der ehrwürdige Bretonius kommentiert mit einem Schrei und Bocken seinen Unwillen, den Spalt hinter Faghira zu durchschreiten. Und so ist es mehr das Ziehen Faghiras an den Zügeln und Drücken Tulins gegen das Hinterteil des Esels, als der Strenge Blick und das herrische Befehlen des Wüstenmädchens, das störrische Vieh solle sich doch endlich fügen, welche Bretonius endlich zur Vernunft bringen.
Von dem Kraftakt der beiden scheinen Vesin und Neriglissar allerdings nur wenig Notiz zu nehmen, denn sie schreiten beinahe unbeirrt durch den schmalen Korridor, der nur nach wenigen Metern in einen großen Saal mündet, dessen hohe Decke von zwölf Säulen getragen wird.
Der Zahn der Zeit scheint lange an dem Inventar – den Säulen, die mit kunstvollen Ornamenten verziert sind, dem violetten Teppich mit silbernen Zierat, der wuchtigen zweiflügligen Tür am entgegen gesetzten Ende des Saals – genagt zu haben. Allein sechs Gemälde, von denen drei linker- und drei rechterhand an der Wand hängen, sehen aus, als wären sie erst gestern gemalt worden: Das erste Bild zur Rechten zeit eine hügelige, blühende Wiesenlandschaft, darüber ist ein Rad in Stein eingemeißelt mit fünf Speichen in 0°, 90°, 135°, 180° und 315°. Das nächste Gemälde zeigt eine Dschungellandschaft, über die eine Stufenpyramide hinausragt. Über der Malerei ist abermals ein Rad in Stein gemeißelt, dessen fünf Speichen in 0°, 45°, 180°, 225° und 270° ausgerichtet sind. Das letzte Bild auf der rechten Seite zeigt eine Wüstenlandschaft, mit einer gewaltigen Stadt am Horizont. Die Speichen des Rades über diesem Bild zeigen in 0°, 90°, 180°, 225° und 270°.
Auf der linken Seite zeigt das erste Bild ein Eismeer, das wie eine unheilvolle Zukunftsvision wirkt. Das Rad über dem Bild hat Speichen, die in 0°, 45°, 90°, 135° und 180° zeigen. Das nächste Gemälde zeigt eine gewaltige Ruine mit typisch elfischer Architektur, die von Urwald umgeben ist. Die Speichen des Rades darüber deuten in 0°, 135°, 180°, 270° und 315°. Das letzte Bild zur Linken zeigt einen riesigen See, an dessen Rand Turmspitzen aus dem Wasser ragen. Ausgerichtet sind die Speichen des Rades in 0°, 180°, 225°, 270° und 315°.
Vesin, weniger beeindruckt von den Malereien, als von den filigranen Ornamenten auf den Säulen, stapft zielstrebig, nachdem auch sein Bruder und das Wüstenmädchen den Saal betreten haben, zu der Tür am Ende des Saals. Er drückt kräftig gegen beide Türflügel zugleich, welche lautlos und so erstaunlich leicht aufgehen, dass der Zwerg beinahe das Gleichgewicht verliert.
Der dunkle Saal dahinter wird von mal zu mal durch Feuer erhellt, das mit jedem Herzschlag in gigantischen Schalen auflodert, die in einer langen Reihe links und rechts von dem violetten Teppich aufgestellt sind. Nachdem die letzten zwei Feuer am Ende des Teppichs entflammt sind, wird die Wand am Ende des Saals mit einem mal von einem so starken magischen Licht erhellt, dass ein riesige Mosaik – fünf Ruten in der Länge und drei in der Hohe – welches fast die komplette Wand bis zur Decke einnimmt.
Das Mosaik zeigt ein schlafendes Wesen – eine Chimäre mit Eulenflügeln, dem Körper eines Löwen und dem Kopf eines Mannes, dessen langer Kinnbart kunstvoll zu einzelnen Locken geflochten ist. Kurz nachdem das Licht den Raum erhellt, fangen die kleinen Mosaiksteine an, sich raschelnd auf die andersfarbige Rückseite – es ist bei jeder Drehung eine andere Farbe – zu drehen, sodass sich das Bild, welches das Mosaik zeigt, bewegt. Der Phix öffnet die Augen und hebt den Kopf. Mit strengem Blick mustert er die Gefährten, die noch immer im Vorraum stehen und mit Ehrfurcht und Demut auf das mosaikene Wesen blicken.
„Lange Zeit ist nun verstrichen, seit meine Augen sterblich’ Fleisch erblickten. Fremde, so tretet nun herbei und stellt eure Fragen weise, denn es sind ihrer bloß drei“, befielt die Stimme des Phix so dröhnend und laut, dass selbst die Luft vibriert.