Amüsiert verfolgt Ansuz das wilde Treiben in der Gasse unter sich.
Entspannt lässt er ein Bein über dem Rand des Daches baumeln, während er das andere ein wenig näher zu sich zieht. Auf Dauer wird es auf den scharfkantigen Schindeln unangenehm und kühl, wenn man nicht richtig sitzt. Mehr als nur eine Nacht hat er frierend verbracht, nur durch einen dünnen Wollmantel vom Biss der nächtlichen Bö geschützt.
Manchmal lohnt es sich, manchmal nicht. Oft genug taumeln Betrunkene aus der Schenke, teils unfähig, aufrecht und geradeaus zu laufen. Ihre Schritte sind schwer, als wären sie von Unrat gebeugte Schinder. Jedes aufmerksame Ohr hört sie noch ein halbes Dutzend Straßenzüge weiter. Leichte Beute für einen geschickten Dieb.
In dieser Nacht stehen die Chancen auf Beute gut. Zwar sind die Besucher der Schenke offenbar geübt mit Schwert und Speer, aber anscheinend nicht sehr weltbewandert. Ihre Glieder scheinen von einer langen Reise lahm, ihre Gebräuche pathetisch, ihr Akzent fremd. Wahrscheinlich handelt es sich um tapfere Seelen, die das Schicksal zusammengebracht hat. Zumindest wäre das die Formulierung, die einer dieser piekfeinen Dichter wählen würde.
Wer weiß, was sie in der Stadt wollen. Ihre Mauern scheinen von einem unhörbaren Sirenengesang wiederzuhallen, als verspräche sie allen Eintretenden eine Ewigkeit im Elysium. Tatsächlich garantiert sie vor allem schmutz- und scheißeverkrustete Stiefel.
Nicht, dass es eine Rolle spielte. Für Ansuz sind die Neuankömmlinge vor allem Geldbeutel, die die Arbeit der Wache übernehmen. Besonders helle können sie nicht sein. Wer sich freiwillig in Lebensgefahr begibt und nichts dafür erwartet hat offenbar niemals Hunger gelitten.
Immerhin, sie erledigen die Konkurrenz. Der aufgespießte Kerl hat ihm irgendwann einmal das Messer unter die Nase gehalten. Hat bemerkt, wie viele Karten er in seinem Ärmel versteckt hatte.
Ein kalter Windhauch fegt über das Dach und lässt ihn unwillkürlich die Schultern zusammenziehen. Langsam wird es ungemütlich auf den Dächern. Ächzend erhebt er sich erst in die Hocke und dann in eine gebeugte Position. Seine Silhouette weithin sichtbar zu präsentieren wäre unklug.
Mit gekräuselten Lippen bewegt er sich ein wenig, um die Muskeln wieder anzuheizen. Umständlich zieht er seine getreue Armbrust vom Rücken. In geübten Handgriffen legt er einen Bolzen ein, den er seufzend beäugt, während von unten ein Schmerzensschrei tönt. Die Qualität der Mordwerkzeuge ist auch nicht mehr die, die sie einmal war. Zu schweres Holz, unsauber geschliffene Kanten und ein Geruch, als käme das Geschoss direkt aus dem Arsch eines Orks.
Schwungvoll den Umhang über die Schulter werfend setzt er zum Zielen an. Ein Treffer im richtigen Moment würde ihn als unverhoffte Hilfe in der Not erscheinen lassen, als schattenhafter Vigilant, der nächtens von Dach zu Dach eilt, um all den Schmutz von den Straßen zu entfernen. Genau der Richtige, um rechtschaffende Seelen durch die fremde Stadt zu führen.
Leise lachend stellt er sich ihre Gesichter vor, wenn sie erst einmal ihre fehlenden Geldbeutel bemerkten. Zu köstlich!