03.01.1042 - Tag des Affen - Morgen
Es war sogar eine gewisse Erleichterung in den Augen des Kaiserssohnes zu sehen, sodass er die zumindest angedeutete Insubordination für den Moment ertrug, auch wenn er sich innerlich sicherlich darüber ärgern würde. Er behielt die starre Position ein und bekam sein Zittern wieder mehr in den Griff und das von der Ruhe getragene Gespräch verschlung mehr Zeit, als erwartet wurde, sodass die Dienerin neuen Tee aufsetzen musste, falls noch jemand Nachschub haben wollte. Und das, obwohl die Schüsselchen kaum mehr als zwei Schlücke bereit hielten. Der Verbrauch an gelben Tee musste auf Seiten des Generals immer recht groß sein. Aber während Hong Gil-dong und Xū Dǎnshí Gedanken austauschen, wie sie auch Worte austauschten, war der Kaiser aufmerksam und gerade als der alte Beamte aus Cui Bao seine Frage beendet hatte, kamen die beiden Ganbrüder, welche den Denunzianten bereits bekannt waren, in den Raum, ohne zu Klopfen, ohne eine Reaktion. Und erst als sie sich des Kaisersohnes gewahr wurden, vollführten sie knapp die respektvollen Notwendigkeiten, wenn auch mit ausreichender Präzesion und Disziplin. Ohne ihre schrecklich hohen Stimmen überhaupt zu erheben, gingen sie wortlos auf die Werkbank zu, aus dessen Repertoire sich Oda bedient hatte, um sich selbst zu richten.
Es genügte bereits der funkelnde Blick des Kaiserssohnes, um die beiden Eunuchenbrüder innehalten zu lassen.
Beide warfen sich fast synchron zurück auf die Knie, beide stocksteif und unbeholfen, hinab auf die Knie mit solcher Wucht, dass ihre Kniegelenke unter dem Gewicht ächzten. Ein schmerzhafter Fall, um Respekt auszudrücken. Der General brauchte nicht einmal eine Frage zu formulieren, die Ganbrüder wussten, dass eine Rechtfertigung gefordert wurde. Als der rote Gan jedoch seine Stimme erheben wollte und ein tiefes Einatmen den Versuch pfeifend unterstrich, hob Chuang Wang seine recht Hand, streckte den Gangebrüdern die Handfläche hin. Ein unmissverständliches Zeichen, dass sie zu schweigen hatten. Der unsanfte, wenn auch Selbst verschuldetet, Aufprall auf die Knie musste die gehaltene Stellung nun fast unerträglich machen, während das Blut langsam in den Knien zusammenlief und der Schmerz nicht wich. Chuang Wang ließ sie in dieser Position verharren. Hier hielt Chuang Wang nichts von falschem Verhalten und ungewollter Insubordination. Wollte er damit irgendetwas unterstreichen oder gar drohen?
Chuang Wang rückte seine blaue Hofkleidung mit zwei, drei einfachen Bewegungen zurecht, sodass sie wieder glatt lag und fing an, mit dem Finger am Bart entlangzufahren. Nachdenklich verharrte er, ließ sich einen Moment Zeit. Er lächelte das erste Mal sanft und nickte Xū Dǎnshí zu. "Was bringt uns Kultur?" Seine Hand zeigte zu den Ganbrüdern, welchen die Anstrengung ins Gesicht gemeißelt stand. "Unwirschheit, mangelnder Respekt vor anderen Wesen und das unerklärte Handeln im eigenen Interesse und im Interesse Dritter ist nicht nur innerhalb der Kultur ein Problem, sondern vor allem außerhalb, denn außerhalb der Kultur gibt es keinen Schutz. Xū Xiansheng, es mag euren Mitgefangenen im Moment verwunderlich vorkommen, wenn ich sage, dass euch auch Gesetze und soziale Normen, selbst jene von Chuang, euch mehr Schutz gewähren, als wirkliche Willkür in einer entkulturisierten Ebene dies tun würde. Ein einfacher Kriegsherr könnte euch wahrlich einfach erschlagen. Despotie wäre eine grausame Folge. So wie die beiden jungen Eunuchen hier neben euch beweisen." Seine Hand ruhte noch immer stoisch, nicht mehr zitternd; zeigte auf die Ganbrüder. Diese schwiegen noch immer und blickten beschämt auf den Boden. "Wären sie nicht so vorbildlich erzogen, würde sie ihr Können und Wissen nutzen, um euch einfach zu hintergehen in einem Moment, in dem ihr es nicht erwartet."
Chuang Wang nahm seine Hand zurück und legte sie in seinen Schoß zu der anderen Hand. "Unsere Kultur schafft Blüte, denn vor allem lehrt sie uns, dass es auch Zeiten geben kann, in denen man auf die Waffe verzichten kann. Sie schafft Frieden und zeigt uns, dass Pfirsich- und Kirschblüten im Frühsommer am schönsten sind, lässt uns sogar die gelbliche Färbung der Flüsse durch das Löss genießen, wenn sich fahl die morgendliche Sonne in diesen Flüssen bricht. Sie beschenkt uns mit einem Blick für Sanftheit, Schönheit und einem Volksfrieden und einem persönlichen Frieden. Sie gibt uns eine Lebensgrundlage und ein Mindestmaß an Versorgung, sodass wir nicht fortwährend nur um das Überleben kämpfen muss.
Ich weiß, dass viele arme Menschen dies tun müssen, aber auch sie haben ein leichteres Los durch Almosen und Suppenküchen, durch Ernteschenkungen und Saatgutschenkungen. Ohne sie, wären viele noch schlechter dran."
Chuang Wang nahm jetzt wieder eine kleine Schüssel des Tees, welcher jetzt wieder dargeboten werden konnte, dann führte er weiter aus. "Ich will nicht bestreiten, dass Barbaren von außerhalb auf diese Kultur eindrängen und im Inneren sich erheben, an den Stellen, an denen unsere Kultur versagt hat. Aber das Große, das Ganze, es hat dazu beigetragen, dass das Leben auf eine andere Stufe gehoben werden konnte. Dass wir das animalische Leben immer häufiger vergessen können und uns sogar Künsten widmen können. In einer mit Krieg überzogenen Welt kann sich der müßige Mann nicht frei dazu entscheiden," er blickte mit einem fast schon diebischen Lächeln auf Mako "sich der Musik und dem Weibsvolk mit Finesse und Lust hinzugeben. Im Gegenteil wird diese Spirale der Gewalt selbst einen so begabten Yueqinspieler wie Mako Jinsei dazu bringen, dass er sich die Frauen mit Gewalt nimmt und seine Hoffnung zu überleben, wird von Listen, echten und falschen Koalitionen und dem Schwert bestimmt, nicht von der Kunst der Musik allein. Aber was versuche ich euch zu erzählen, Xū Xiansheng, ihr habt mit überzeugter und doch nicht rücksichtloser Freundlichkeit und Friedfertigkeit eure Provinz zu einem Juwel gemacht, so sagt man. Wäre in einer Welt voller reiner Machtgier und Geltungssucht sowas möglich? Die Aufgabe der Kultur ist es nicht nur, dass häufig so abgewertete einfache Volk zu disziplinieren und die Undisziplinierten zu Barbaren zu machen, damit die Gesetze sie betreffen. Ihre Aufgabe besteht auch darin, zu verhindern, dass ein Kaiser ein von Macht nebelter Autokrat wird. Auch ihn zwingt die Kultur dazu im Einklang mit ihr zu leben, sonst kann er kein himmlischer Kaiser sein. Vielmehr ist seine Kultur, der er ja ohne Zweifel vorstehen will, dem Verfall preisgegeben, wenn er sie selbst im gelben Fluss ertränkt."
Er nahm noch einen Schluck Tee und stellte sein Schälchen dann vor sich ab. Er blickte den Beamten freundlich an.
"Xū Xiansheng, ihr habt scheinbar immer ein Sinn dafür gehabt, wie ihr eure Untergeben mitnehmen kann, ohne euren Blick für den Fortschritt außer Acht zu lassen. Aber ich hoffe, ihr seid nicht der Einzige im Reich, der zu solch edlen Taten fähig ist. Ein Vielvölkerreich ist immer insoforn problematisch, weil ich nicht immer einfach Kultur oktroyieren kann, schon gar nicht, wenn jemand tief mit einer anderen Kultur verwurzelt ist. Dieses Problem erleben wir mit den Alben, den Zwergen, den Elben im Norden, von denen ihr alle sprecht, ja sogar mit Einwanderern aus Xian und Aufständischen in diesen Landen. Aber dass wir, auch durch einige Uneinigkeit verschuldet, nicht dazu in der Lage sind, alles mit bloßen Wort zu befrieden, das soll den bisherigen Kaisern nicht angelastet werden. Unsere Kaiser waren seit jeher Friedenskaiser, doch wenn falsche Freunde und Feinde nur auf Gewalt aus sind, können wir manchmal die Waffen nicht schweigen lassen. In Zeiten der Waffen vergessen aber viele Wesen gleichermaßen wieder die Gesetze und die Kultur. Und so leben wir in einem schweren Widerstreit der Erhaltung der Kultur. Momentan sogar in einer äußerst schweren Phase davon, da unser Kaiser tot ist und die Nachfolge zu einer Farce zu verkommen droht, für dessen Lösung jeder den Mörder kennen will. Aber auch hier kann Kultur für das Wohl und den Frieden notwendig sein! Denn wenn kein Mörder gefunden wird, kommt es unvermeidlich zum Krieg. Und dann schreibt er der Sieger die Geschichte und bestimmt den Mörder. Nur wird er dann kein Chuang mehr besitzen."
Chuang Wang ließ die Gan noch immer warten, die inzwischen hochrote Köpfe hatten.