Ein Dunkelelf war also Bairwins geheimer Lieferant! Das herauszufinden war einfach genug gewesen und der Kerl schien dabei erstauntlich umgänglich für einen seiner Art. Wenn er ein rechtschaffener Dunkelelf gewesen wäre,hätte er seinesgleichen wohl auch nicht verlassen.
Beschwingten Schrittes machte Jared sich auf in Richtung der Taverne, die der Händler ihm als die beste Unterkunft vor Ort empfohlen hatte. Die neuen Stiefel fühlten sich phantastisch an: das Leder war so weich, nirgendwo drückte es, ja, seine Füße liefen fast von allein.
Also, er hatte seine Information, was sollte er damit anfangen? Seinem Auftraggeber abliefern für die ausgemachten fünfhundert Gold? Oder sollte er Bairwin sein Stillschweigen anbieten für, sagen wir sechshundert Gold? Soviel musste es dem Händler doch wert sein, dass die Konkurrenz nicht erfuhr, woher er seine besten Stücke bezog.
Sechshundert Gold. Wie viel wäre ihm das noch vor ein, zwei Jahren vorgekommen! Jetzt dachte er nur, dass er sich davon nicht einmal das Paar Handschuhe hätte leisten können, das ihn gestern im Haus Azaer so angelacht hatte! Und wenn man außerdem noch die hundert Gold Spesen abzog -- sofern sich Pech beim Kartenspiel als Spesen bezeichnen ließ -- dann war die Endsumme alles andere als befriedigend. Vielleicht ließ sich die "exklusive Information" auch mehrmals verkaufen? Aber damit konnte er sich Ärger einhandeln, die Händler waren eine enge Sippschaft! Er könnte auffliegen, noch bevor ihm Zeit blieb, Winterhafen zu verlassen, und außerdem war es nicht schlau, sich für eine Handvoll Münzen in einer solchen Stadt zur persona non grata zu machen!
"Mensch, du musst auch einmal ein Risiko eingehen!" warf Davik ihm oft genug an den Kopf. "Immer nur Vorsicht, Vorsicht, so wirst du es nie zu etwas bringen!"
Vielleicht hatte der Zwerg recht. Trotzdem bereute Jared es nicht, das Angebot zur Zusammenarbeit ausgeschlagen zu haben. Davik war ein grober Klotz, auf den ersten Blick als solcher zu erkennen, und keine noch so gute Verkleidung der Welt konnte diesen Umstand verbergen, denn sein ganzes Gebaren, jedes Wort aus seinem Mund und jeder Gedanke in seinem Kopf, verriet ihn als solchen. Und er mochte Gewalt. Jared mochte keine Gewalt. Jared mochte es, unauffällig zu sein. Flexibel. Wandelbar. Immer auf dem Sprung. Niemals kopflos vorstürmen, nein, Jared hatte immer einen Plan.
Die traurige Wahrheit, wenn man ihr denn einmal ins Gesicht sehen wollte, war die: Jared riskierte nicht gern. Beim Kartenspiel, ja, aber selbst da hatte er stets eine Summe festgelegt, bei deren Verlust er aufhören würde. Im Grunde war und blieb er ein Kleinbürger, egal, wie sehr er sich in dem Mantel "Glücksritter" gefiel! Und wenn er nicht lernte, hin und wieder einmal ein Risiko einzugehen -- vielleicht mit einem kleinen Risiko beginnen und sich dann langsam steigern -- würde Jared seiner kleinbürgerlichen Erziehung niemals entkommen, würde an ihr ersticken, würde sich niemals frei fühlen...
Und vom großen Coup, da träumte auch er. Anders als Davik bildete er sich aber nicht ein, mit einem riskanten Geschäft fürs Leben aussorgen zu können. Aber widersprach das nicht der Definition vom "großen Coup"? Ach, es war hoffnungslos mit ihm...
Die einladend erleuchteten Fenster des Halbmondes unterbrachen Jareds Gedanken. Er betrat die Schankschube, die ob der frühen Vormittagsstunde spärlich besetzt war. Außer zwei Frühtrinkern am Tresen war nur noch ein einziger Tisch in der Mitte des Raumes besetzt. Dort saßen ein Zwerg, dessen grimmige Miene Jared an Davik erinnerte, neben einer bezaubernd schönen Eladrin, deren Schönheit nur von den verquollenen Augen vorrübergehend entstellt war.
Oh je: Schönheit und Tränen, das verhieß noch mehr Ärger in Kombination als ein jedes für sich! Jared machte einen noch etwas größeren Bogen um die Dame als sonst, und suchte sich einen Tisch in der Ecke. Dort schnallte er sich als erstes den Rapier ab, da dieser beim Sitzen gern zwischen die Beine geriet und überhaupt sehr unbequem war, anders als der Dolch, welchen er in einer Scheide im Hemdsärmel trug. Den Rapier legte er griffbereit auf die Bank neben sich, seinen Hut dagegen auf den Tisch. Dann winkte er dem Halbling an der Theke zu.
"Ein Bier und etwas Warmes für den Magen, wenn's schon was gibt!" rief er ihm zu. "Sonst einen Kanten Brot mit Käse."
Während er auf das Bier wartete, betrachtete er seinen Hut -- den Schankraum nur aus dem Augenwinkel, aber nicht minder genau. Der Hut sieht auch schon echt schäbig aus, dachte er seufzend. Da sollte ich mir auch endlich mal einen neuen kaufen. Von welchem Geld nur?