Badawi + Kaveh
Der Adeodat schien verwirrt, als er aufblickte. Es war offensichtlich, dass er niemanden hier erwartet hatte, der ihm behilflich sein wollte. Er musterte Kaveh und schien, als er sich umblickte, zu bemerken, dass er bereits von einigen anderen Umstehenden beobachtet wurde. Er räusperte sich und sprach leise, sodass lediglich Kaveh und Badawi, den er als Verbündeten Kavehs zu erkennen schien, ihn verstehen konnten: “Bruder, ihr sprecht mit den Worten des Rachesuchenden. Wie kommt es, dass ich hier solche Gesellschaft erwarten darf?“ Er schien einen kurzen Augenblick zu überlegen und nickte dann. Er hatte wohl erkannt, dass hier nicht der Rechte Ort für ein solches Gespräch war. Die Ohren der Anwesenden waren nicht zwangsläufig die Ohren Vecors, aber Vorsicht war allemal geboten.
Die Glocken verstummten. Die Türen des Tempels wurden mit einem endgültig klingenden Rumsen geschlossen. Sollte dies eine Falle sein, hätte sie nun zugeschnappt, denn außer der Tür war kein Ausweg aus dem Gebäude zu erkennen, sofern man nicht einfach verdampfen konnte. Die Menge der Vecorianer verstummte, und auf diese Stille antworteten auch die weiteren Anwesenden, die nur zu Gast in der Oase waren. Eine Gestalt trat auf. Sie trug weite priesterliche Gewandung in weißer Farbe mit einem goldenen Cingulum um die Hüfte. Die Haare waren kurz und ebenfalls bereits weiß, das Gesicht gebräunt vom Antlitz Vecors. Es waren einige Falten sichtbar, vor allem im Bereich der Stirn, und die kalten Augen zeugten von wenig Gnade oder Freundlichkeit.
Sein Blick ging tadelnd in die versammelte Menge. “Ihr wollt Vecorianer sein?“ Er sprach leise, mit Entschlossenheit in der Stimme. Sie klang kalt und hoch und passte im Ganzen zu den Augen des Priesters. “Vecorianer sein, wisst ihr überhaupt, was das bedeutet?“ Er blickte sich fragend um. “Weiß das jemand? Nein! Denn die meisten von euch sind schwach! Alle von euch sind schwach, denn ihr habt niemals den Pfad Vecors beschritten. Lasst mich euch heute von diesem Pfad berichten, um euch zumindest zu einigen großen Taten zu inspirieren. Vielleicht könnt ihr Vecor so ein wenig gerecht werden. Dann weint er nicht mehr, wenn er auf seine Anhänger herabblickt!“ Er setzt sich in die Mitte des Kreises und das Licht der Sonne erhellte ihn.
“Der Pfad Vecors. Habt ihr euch einmal gefragt, wie man Vecor, die Incarnation der Perfektion, erfreuen kann? Geht in die Wüste! Setzt euch seiner Stärke aus. Geht ohne Vorräte und nur in den Gewändern eines Büßers. Folgt dabei der Morgensonne, bis ihr an einen Felsen gelangt, der wie eine Nadel in die Höhe steigt. Dies ist der Stein der Prüfung. Bringt mir von dort eine der Sonnenscheiben, die ich dort höchst selbst deponiert habe, und ich werde euch den Segen Vecors zusprechen. Vielleicht mögen einige von euch nun denken, dass dies eine einfache Prüfung sei. Für viele zu schaffen, die sich ordentlich vorbereiten! Ha! Narren, sage ich! Narren! Denn dieser Stein der Prüfung ist einen Zehntag von hier entfernt! Zwei Zehntage durch die Wüste führt euch diese Prüfung, ohne jegliche Vorräte. Wenn ihr diese Prüfung besteht, dann seid ihr Vecors Macht wahrlich gewachsen, und ihr dürft euch einen Vecorianer nennen.“ Er redete sich in einen Rausch und in eine Rage und es folgte eine detaillierte Beschreibung, wie er selbst der Sonne und der Kälte der Nacht trotzte, um sich selbst zu beweisen. Es schien ein Ritual unter der vecorianischen Priesterschaft zu sein, ein Initiationsritus. Auf jeden Fall hörte er sich gerne reden und ließ keine Gelegenheit aus, um seine Verbundenheit zu Vecor zu demonstrieren.
Schließlich rief er die Anwesenden zum Gebet auf. “Ich würde euch nun in die Nacht entlassen, in die einzige Tageszeit, derer ihr würdig seid. Doch die Protokolle verlangen, dass ich mit euch ein Gebet spreche, um Vecor zu gefallen. Vielleicht ist es sinnlos, weil er diesem armseligen Haufen keine Aufmerksamkeit schenkt, aber ich tue nun mal, was ich kann, um euch dem Einzig Wahren näher zu bringen!“ Er senkte sich auf die Knie, so wie alle Vecorianer, die anwesend waren und begann, ein Gebet zu rezitieren, welches sich auf die Größe Vecors bezog und sein Dogma zum Abschluss beinhaltete: “ Verachte alle, die nicht diesem Pfad folgen und helfe jenen aus dem Leben, die diesem Weg nicht mehr Folge leisten können. Verschmähe alles, was keine Perfektion erreichen kann, alles, was nicht so werden kann, wie ich es bin, denn ich bin die Perfektion, die Leben gibt und es nimmt. Ich bin die Reinheit und du sollst ebenso rein sein, wie ich es bin. Verschmähe Halbblüter und alle die, deren Reinheit beschmutzt wurde, denn für jene kann die Sonne nicht mehr scheinen. Lass sie leiden, wie die Wüste sie ausdorren würde. Übergebe die Wesen, die die Perfektion nicht mehr erreichen können und die, die nicht mehr rein sind, dem Feuer, auf das es sie reinigen möge. Und jenen, denen du den Weg des reinen Lichtes zeigen kannst, forme ihren Geist so, dass sie den einzig wahren Weg erkennen, denn ich bin der einzig wahre Weg, der einzig wahre Herr! So spricht Vecor, möge seine Herrlichkeit euch erhellen!“ Der Priester erhob sich und deutete zur Tür. “Geht und zeigt, dass ihr es würdig seid, Vecorianer genannt zu werden!“ Die Türen wurden geöffnet und die Menge setzte sich in Bewegung.
Nuwairah + Mahlakar
Hamam, der Wirt, verneigte sich und deutete den beiden Neuankömmlingen, dass sie Platz nehmen mochten. “Ich werde euch das Essen bringen, sobald es fertig ist. Es wird nicht lange dauern, da die meisten ehrenvollen Vecorianer soeben zum Gottesdienst aufgebrochen sind.“ Es lag ein wenig Spott in seiner Stimme. Scheinbar konnte er es sich leisten, wider die Herrlichkeit Vecors zu reden. Er wandte sich ab und begann mit der Zubereitung der Speisen sowie der Getränke.
Als Mahlakar den Zauber auf Nuwairah wirkte, sprang die junge Frau an einem der Fässer auf und deutete auf diesen, wobei ihre Augen schreckgeweitet waren. “Wüstendämon! Lass dein Teufelswerk draußen und verhexe uns nicht!“ Sie schlug ein Schutzzeichen vor ihrer Brust und ging hinter dem Tisch in Deckung, murmelte dabei leise Schutzrituale vor sich hin, woraufhin auch der Mensch aufsprang. “Jetzt gib endlich Ruhe, elendes Weib!“, dröhnte seine Stimme durch das Zelt. “Deine Furcht vor allem ist ja unglaublich!“ Er schüttelte den Kopf. Hamam, noch ein Kaktusschnaps, den brauch ich bei der Gesellschaft hier!“ Er setzte sich wieder hin und zog an seiner Wasserpfeife, um sich den beiden Neuankömmlingen zuzuwenden. “He, setzt euch doch zu mir. Ein wenig Gesellschaft würde mir ganz gut tun zwischen all diesen Gestalten. Ich kann euch vielleicht ein bisschen was verraten, was das Leben unter den Vecorianern erleichtert.“ Eine einladende Handgeste deutete auf seinen Tisch.