Trotzdem machten sie sich an den Abstieg. Zum Glück hatten sie ein stabiles Seil dabei, dass ihnen das Klettern wesentlich erleichterte. Mehr schlecht als Recht machten sich die Menschen an dem Seil hinab, und auch der Zwerg machte keine gute Figur. Der Sturm schien ihre Flucht zu decken. Zufrieden, dass die Natur auf ihrer Seite stand, seilte sich Aiwëtaurnís als letzte ab. Und nun hinaus in die Dunkelheit. Sie wachte über die Flucht ihrer Gefährten. Einem Adler gleich ließ sie ihr Blick durch den Wald und das Umfeld gleiten. Eine frühe Orkpatroullie konnte ebenso umgangen werden, wie auch das Dornengewirr in dass sie ihr Umweg führte. Noch immer brodelte der Wunsch in der Elfe umzukehren und blutige Rache zu nehmen. Doch es wäre Betrug an ihren Gefährten. Ihr Wort als Söldnerin hatte für sie kein Gewicht mehr, aber die Kameradschaft hielt sie bei der Stange.
Und so erreichten sie schließlich die Pferde. Doch der Sturm hatte ganze Arbeit geleistet. Die Gefährten trieften vor Nässe und auch blaues Blut schien nicht vor Wasser zu beschützen, was die drei geretteten mit steigendem Genörgel von sich gaben.
Und obwohl Leonhard ebenfalls körperlich am Ende war, versuchte er sich zusammen zu reißen. Die letzten Tage waren für keinen von ihnen leicht gewesen, auch nicht für die Sprößlinge. Doch nach einiger Zeit ging ihm das Gejammere der drei auf die Nerven, die damit schon begonnen hatten, als sie sich an den Felsen die Hände und Knie aufschlugen. Ja, zwei ihrer Freunde waren tot, doch sie waren am Leben: "Jetzt reißt euch verdammt nochmal zusammen, ihr lebt. Freut euch und haltet den Mund. Spart eure Kräfte. Wenn ihr lieber tot wärt, hätten wir uns die ganze Aktion sparen können," flaumte er sie wütend an.
Immer wieder warf er ihnen böse Blicke zu. Sie sollten ihre Kräfte sparen, nicht der Gruppe in den Ohren liegen. Mit Erfolg. Die drei verstummten, Kara sichtlich geschockt, erneut an den Verlust ihrer Freunde erinnert. Kalman hingegen warf dem Ritter nur einen Blick zu in dem mehr Hass als Trauer lag, war aber dennoch sichtlich fügsam. Leonhard hatte sich keinen Freund in dem jungen Adligen gemacht.
Als sie die Pferde erreichten, kümmerte sich Jurij um die Tiere. Trotz des gut gewählten Platzes für sie waren die armen Tiere vollständig durchnässt und auch schon deutlich ausgekühlt. Wenigstens seinen beiden ging es so. Der Ausblick auf die Flucht und wohl auch der Geruch nach Blut ließ die scheuen Fluchttiere nicht gerade ruhig darstehen. So versuchte Jurij sie mit ruhigen Worten zur Ruhe zu bringen und gönnte ihnen ein angenehmes Warmrubbeln, welches durch den Zeitdruck recht kurz ausfiel.
Doch am Ende war der Zeitdruck viel zu groß. Auch war Jurij noch immer vom Kampf angespannt. Dies merkten die Tiere und übertrugen es auf sich selbst. Sie witterten wort wörtlich, dass es noch nicht vorbei war.
Tänzelnd wichen die Pferde den Gefährten aus, als sie Ladung neuverteilten und aus Packsätteln versuchten halbwegs akzeptable Reitsättel zu machen. Zwar würden sie bei dem Wetter kaum im vollen Galopp reiten können, aber zumindest abwechselnd ausruhen können.
Noch von der Burg aus hatte Lorim Eisenhammer über das Land geblickt und versucht, sich anhand von Wäldern, Tälern, Furchen und Höhenzügen zu orientieren. Viel wusste der Schmied über die Geographie des Nordens. Doch hier schien sein Wissen wenig zu nutzen. Die Festung, die schon lange von den Feinden gehalten wurde und die Täler und Wälder, aus denen sich sein Volk einst zurückgezogen hatte, waren ihm nicht vertraut genug, um einen anderen Weg zu finden, als den, der sie hierher gebracht hatte. Nun den. Ein vertrauter Pfad mochte sie auch ans Ziel bringen, auch wenn er den Orks, eine etwaige Verfolgung erleichtern würde.
Und so nutzen die Gefährten den Pfad der sie schon hierhin geführt hatte. Thokk blidete an diesem ersten Tag die Vorhut. Er wusste wie wichtig es war Strecke zwischen sie und die Festung zu bringen. Die Dunkelheit beschränkte seine Fähigkeiten zu sehen glücklicherweise so gut wie garnicht und er war entschlossen sich nicht fassen zu lassen. Kein Ork würde Hand an ihn legen und sie einholen. Nicht, nun da sie es geschafft haben lebend auf der Festung raus zu kommen. Auf Spuren würden sie nur wenig achten können und müssen. Die Orks würden wissen woher sie kamen und wohin sie wohl unterwegs waren, oder es zumindest vermuten.
Er ritt etwas vorn weg und bahnte den anderen den Weg durch den Wald. Dichtes Gestrüpp zerschlug er kurzerhand mit seinem Zweihänder, das Ende eines Baumstamms schob er zur Seite. Unaufhaltsam wie ein Mühlstein arbeitete er sich ohne Pause immer weiter durch den Wald. Als sie schließlich eine Pause machten war er völlig verschwitzt und außer Atem. Seine Erschöpfung ging soweit, dass er etwas wankte. Eine Pause hätte er deswegen dennoch nicht gemacht, sein Wille hätte ihn weiter getrieben.
Die Abenteurer bahnten sich auf ihren Tieren einen Weg durch den Wald und sie schafften es, bis zum Morgengrauen einige wenige Stunden Vorsprung herauszuholen. Allerdings war es alles andere als leicht. Der Boden war aufgeweicht und sie hatten nur fünf Pferde für acht Personen. Die Ponys, die sie mitführten, waren bereits mit ihrer Ausrüstung schwer genug beladen und so mussten sie mehrmals anhalten, um die Last neu zu verteilen. Hinzu kam, dass die Adeligen in sehr schlechter körperlicher Verfassung waren - die Tage in der Gefangenschaft der Orks hatten deutliche Spuren hinterlassen. Es dauerte daher nicht lange bis die Gruppe in der Ferne das anschwillende Trommeln der Orks hörte.