Danas Verletzung machte sich stärker bemerkbar, da ihr Herz in ihrer Brust vor Glück wild schlug und hüpfte. Vielleicht hatte sie sich impulsiv und voller Verlustängste zu diesem Kuss hinreißen lassen und war sich dabei vielleicht auch für einen winzigen Moment nicht vollständig bewusst gewesen, was sie eigentlich tat. So überwältigte sie das Gefühlschaos, das über sie hereinbrach, als sie merkte, dass Ichabod auf den Kuss einließ und ihn erwiderte, und es spülte all ihre Trauer und ihren Groll fort. Sie ließ es einfach zu – sich dagegen wehren wollte sie sich ohnehin nicht. Hätte sie es überhaupt gekonnt?
Doch dieser schöne Moment, in dem Dana die Welt um sie beide herum vergessen hatte, währte nicht ewig. Wenn Dana die Situation bedachte, in der sie sich befanden, war es vernünftig von Ichabod, den Kuss sanft zu beenden. Eigentlich war dies nicht der passende Ort und auch nicht der passende Augenblick für eine Aussprache, doch nachdem er Dana seinen Ehering in die Hand gedrückt hatte, war es wohl nötig, zumindest einen ersten Schritt zu machen, die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen.
Ichabod hatte es tatsächlich die Sprache verschlagen. Auch wenn es ihm nicht über die Lippen kam, dass es ihm leidtat, merkte Dana ihm das deutlich an. Seine Mimik und seine Körpersprache sprachen Bände. Es schmerzte Dana noch immer, dass er ihr das angetan hatte, doch dies ging in dem wohlig warmen Gefühl, das sie erfüllte, unter. Wie berauscht von dem Kuss erwiderte Dana Ichabods glückliches und zugleich bedauerndes Lächeln von ganzem Herzen.
Danas Blick fiel gerade auf seine Hand, mit der er beschämt andeutete, den Ring zurückhaben zu wollen, als Viktors Stimme unvermittelt hinter ihnen erklang. Ihr Blick huschte ertappt zu dem jungen Pharasmiten, der inzwischen zusammen mit Jadar bei ihnen angekommen war. Viktor hatte mit seiner Aussage den Nagel auf den Kopf getroffen, Dana ging jedoch nicht darauf ein. Sie hätte sich einen Moment der Zweisamkeit mit Ichabod gewünscht, aber taktvoll Abstand zu halten und zu warten, anstatt sie zu stören, war Viktor offensichtlich nicht in den Sinn gekommen.
Dennoch wandte Dana ihre Aufmerksamkeit kurz wieder Ichabod zu, um ihm dezent, sodass es Viktor und Jadar nicht unbedingt mitbekamen, den Ring zurückzugeben, denn diesen hätte sie wohl niemals angenommen – erst recht nicht, um ihn zu Geld zu machen. Auch wenn sie ihm diesen nicht an den Ringfinger steckte, denn ob Ichabod ihn tragen wollte, würde wohl seine Entscheidung sein, schloss sie sanft seine Finger um den Ring, nachdem sie diesen in seine Handfläche gelegt hatte.
[1]Viktor mahnte zur Eile, also sollte es so sein. Gemeinsam gingen sie, während Ichabod redete, zu den besiegten Wiedergängern. Der Anblick der Kampfstätte, von der aus Schleifspuren und Ichabods Fußabdrücke zur Krypta führten, frischte die leicht verschwommenen Bilder in Danas Kopf wieder auf. Sie erinnerte sich daran, wie Ichabod und sie mit gezogenen Waffen auf die Untoten zugelaufen waren – jeweils einen Bogen ziehend, um ihre Gegner in die Zange zu nehmen. Anschließend war alles so schnell gegangen.
Doch die Spuren auf dem Friedhofsweg zeugten davon, was hier geschehen war. Aufgewühlte Erde, die beiden entstellten Leichen und Blut – dunkles und stinkendes sowie frischeres.
Hauptsächlich Danas Blut.
Dort hatte sie gestanden, als sie das erste Mal getroffen worden war, dort, ein Stück weiter, beim zweiten Treffer. Kurz darauf mussten Schmerz und Blutverlust sie übermannt haben und sie bewusstlos geworden sein. An der Stelle, an der sie offenbar gelegen hatte, hatte sich eine Blutlache gebildet, die schon im Schlamm versickert, aber aufgrund dessen roter Färbung noch erkennbar war.
Ichabod hatte sie, wie sie das mit ihrem sachkundigen Blick beurteilen konnte, mit seiner Versorgung vor dem Verbluten bewahrt. Wenn Dana die Flecken, Spritzer und Tropfen auf ihrer Kleidung mit der Menge an Blut abglich, die auf dem Boden zu finden war, hatte sie erheblich viel verloren – und dementsprechend schwach fühlte sie sich, auch wenn Pharasmas heilender Segen sie schon wieder etwas aufgepäppelt hatte.
Dana wandte ihren Blick von den erschlagenen und übel zugerichteten Untoten ab. Eigentlich wollte sie sie genauso wenig sehen wie sie ihren faulenden Gestank, der beinahe Übelkeit in ihr hervorrief, in der Nase haben wollte. Stattdessen schaute sie nun Viktor an, um diesen anzusprechen, nachdem Ichabod ausgeredet und sich wieder zu ihr begeben hatte, um sie zu stützen.
„Diese beiden Toten verdienen eine angemessene Bestattung. Denkt Ihr jedoch wirklich, es sei eine gute Idee, ihre Überreste zum Tempel zu schaffen?“ Dieses Vorhaben hatte der junge Priester ihr gegenüber in der Krypta angekündigt.
„Nicht, dass man uns unterstellt, wir hätten Leichen ausgegraben und geschändet. Ihr seid ein Pharasmit, Viktor, daher vertraut Ihr darauf, dass man Eurem Wort dort Glauben schenkt, doch in untotem Zustand hätten diese Wiedergänger vielleicht wirklich einen überzeugenderen Beweis dargestellt“, pflichtete Dana Ichabod bei. Sie lehnte sich, seine Nähe suchend, an ihn.
Was würde wohl passieren, wenn sie auf dem Weg zum Tempel mit den Untoten entdeckt werden würden? Sie müssten sie zwar nicht über den Marktplatz Ravengros schleifen, um es übertrieben auszudrücken, denn der Pharasmatempel lag außerhalb der Ansiedlung, jedoch mussten sie damit rechnen, dass man sie möglicherweise auf ihrem Weg dorthin beobachte.