Rhamedes ließ ein Seufzen in seinem Bart verschwinden. Der Übermut und Pathos der Jugend, den Areo hier breittrat, tat dem alten Mann beinahe etwas leid, aber er schätzte, dass dort, wo viel Verzweiflung war, der Wunsch nach irgendeiner größeren Hoffnung - einer, die man nicht aus sich selbst gewinnen musste - immer weiter bis ins Unerträgliche wuchs. Areo formulierte dieses Ergebnis nur. Freilich waren sie jetzt, Areos Meinung nach, Auserwählte der Götter. Welch Späße die Götter wohl mit den Sterblichen trieben, wenn diese Zeit in Schmerz miterleben zu müssen, die Auserwähltheit beschreibt. In einem Sanatorium dazu noch festzusitzen, erschein Rhamedes nicht wie ein auserwählter Ort, es erschien dem alten Mann eher, dass Areo diesen Ort bald - sollte er wider Erwarten überleben - ausgiebig in Anspruch nehmen müsste. Allerdings konnte Rhamedes es ihm, bei zweiten Nachdenken, nicht verübeln. Auch er wollte es innerlich so sehen, dass es Götterwerk war. Er würde vieles dafür tun, dass er sich dessen überzeugen konnte, und doch, es würde ihm nicht gelingen. Er wusste, was seine Familie getan hatten, er wusste, was die goldene Magi mit seinem geliebten Nafalem getan hatten. Selbst wenn es etwas Göttliches war, die Menschen haben ihren Part gespielt und das ist das, warum sie sich zu kümmern hatten: Menschen, nicht Götter. Rhamedes schürzte die Lippen nachdenklich und fuhr damit fort, womit er die Einwürfe von Gelirion, Areo und Schnüffler verbracht hatte. Mit dem Beobachten von Iana, Khoon und Timbar.
Khoons Gesichtsausdruck sagte ihm nicht viel, aber er sah in Ianas Gesicht, was Areo in Wortform gebracht hatte. Stark sein um jeden Preis. Dasselbe was Gelirion versuchte, trotz aller Verluste stark sein und das, was über war, beschützen. Bei Iana war es augenscheinlich ihr Sohn. Rhamedes war aufgefallen, dass sie viel in der Gegenwart von Esulilde war und sich wahrscheinlich einen schnellen Weg suchte, sich vor dem Untod zu schützen. Und wenn der Tempel des Lichts gefallen war, was war das zweitbeste Argument? Der Herr des Untodes selbst. Wenn ich von einem gutmütigen Gott nicht mehr durch seinen Sonnenschild beschützt wrrde, dann war die nächste Idee, den rachsüchtigen Gott mit Opfern zu besänftigen. Dieser Gedankengang war nachvollziehbar, doch welches Opfer würde Iana bringen? Welches Opfer würde Esulilde fordern?
Timbar wirkte gehetzt, nervös, nicht gänzlich bei der Sache. Hatte er noch mehr gesehen? Irgendwas beschäftigte ihn, doch ehe Rhamedes dieser Sache auf den Grund gehen konnte, spürte er, dass dank Gelirions Verweis wieder die Blicke auf ihn gerichtet waren. Rhamedes hatte sich inzwischen eher in seinen Stuhl gelümmelt, um die kaputte Hüfte etwas zu entlasten und das Gewicht auf der heilen Hüfte zu haben.
Er versuchte sich schnell zu erinnern, was er über den Nebel wusste. Es war verblüffend wenig, das wusste er noch.
"Der Nebel. Ja.", begann er etwas leise, auch um Zeit zu gewinnen. Irgendwas stimmte nicht mit seinem Kopf. Es fühlte sich an, als müsste man mit einem löchrigen Eimer Wasser aus einem viel zu tiefen Brunnen schöpfen, wieder und wieder, bis man endlich genügend Wasser beisammen hatte.
"Das ist das, was ich damit meinte, dass wir mit arkanen oder sonstwie magischen Infizierungsarten rechnen müssen. Über diesen Nebel können wir jedoch leider nicht so viel wissen bisher. Sicher wissen wir nur, dass er über sogenannte negative Energie funktioniert, welche den Empfangenen erst tötet und dann durch dieselbe Energie wieder - nun jedoch untot - wieder auferstehen lässt. Und dass eine solche Macht zu groß ist, dass sie ein Einzelner wirken könnte, gerade in kurzer Zeit. Ein solcher Vorgang wäre in einem Ritual vorstellbar, jedoch nur ein einem großen Ritual. Ich kenne diese Eckpunkte nicht, aber es wäre nicht auszuschließen, dass wir es mit mehr als einfachen Sterblichen zu tun haben[1]. Das ist sehr vage, aber ich weiß wahrlich nicht mehr darüber. Weder die genaue Funktion, wie lange dieser Nebel aufrecht erhalten werden kann, ob er einen Ort oder einen Gegenstand hat, der seine Macht aufrechterhält, ob möglicherweise Ritualisten ihn durch dauernde Opfer oder Gebet oder Zauber am Wirken halten müssen, ob er sich durch den Leichenfraß selbst am Wirken erhält. Alle jenes kann ich nicht beantworten. Aber vielleicht wissen die Aguas-Gläubigen mehr über diese Arten von Ritual oder Nebel?" Er blickte zu Esulilde und lächelte aufmunternd.
"Das ist kein Vorwurf. Aber die Expertise der Priesterschaft bezüglich des Untodes ist sicher größer als die eines alten Wandersmannes."Dann nickte Rhamedes nochmal dankbar Schnüffler zu. Er konnte nichts von den Worten gegenüber Gelirion wissen, aber Schnüffler tat genau das, was Rhamedes sich erhofft hatte, wenn alle von den Worten hörten. Dass jemand sie mit Vernunft anging und das hatte der Halbork getan. Die Absicht hinter diesem Schreiben herauszustellen, gab Rhamedes große Zuversicht, dass die Wirkung des Schreibens schnell verpuffte und die Sorge vor einem Stück Papier zurückgestellt wurde, für notwendigere Dinge. Ebenso nickte er darauf, dass er sich mit den anderen alten Männern zurückziehen würde, um die Seuche zu studieren. Sie konnten noch nicht wissen, dass Rhamedes das Blut eines Verwandelten an sich gebracht hatte. Die Heiler und Gelehrten würden es früh genug erfahren.
Rhamedes nahm sich noch etwas Weiches zu essen und beobachtete weiter die Unterhaltung.