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Autor Thema: Eine neue Ordnung  (Gelesen 25268 mal)

Beschreibung: Einstieg für Will und Arjen

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Arjen Bucalo

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Eine neue Ordnung
« Antwort #135 am: 05.01.2015, 19:16:24 »
Arjens Aufmerksamkeit kreist noch um Ben Haywoods Stellungnahme und die neuen Einblicke, die diese geliefert hatte. In Gedanken versunken hatte er die letzten Sätze, die Will und Luca gewechselt hatten, gar nicht mitbekommen.

Auch die Frage des Schauspielers hörte er zunächst nicht, so dass Will noch einmal nachhaken musste. "Was?", entfuhr es dem Krieger schließlich geistesabwesend. Einen Augenblick lang musste er sich zurechtfinden, dann holte ihn die Wirklichkeit ein, und er wandte den Blick in die Himmelsrichtung, die sie einschlagen würden. "Oh, ja", sagte er möglichst beiläufig. "Ich finde es immer besser, wenn man den ganzen Tag zur Verfügung hat, um möglichst weite Strecken zurücklegen zu können, aber für unser Unterfangen hier, dürfte auch ein Aufbruch zur Mittagszeit angemessen sein.[/b]"

Während Arjen spricht, faltet er das Schriftstück unauffällig zusammen und steckt es in seine Westentasche. "Diese Übergabe sollte besser ohne Luca stattfinden", denkt er sich.

Dann steht der Krieger auf und wendet sich in Richtung der beiden Mädchen, die etwas Abseits zwischen den Betten sitzen und spielen. Er macht einige Schritte auf sie zu und kniet sich zwischen den beiden hin. Für Will und Luca ist nicht erkennbar, was er zu den beiden sagt, aber anscheinend sind es nette Worte, den die beiden Mädchen lächeln. Während er spricht, holt Arjen aus seiner Hosentasche die kleine Holzpuppe heraus und drückt sie der jüngeren der beiden in die Hand. Dann tätschelt er den beiden noch einmal die Köpfe, steht wieder auf und kommt zu den beiden Männern.

"Noch einmal vielen Dank, dass ihr uns aufgenommen habt", sagt er an Luca gewandt. Das ist wohl alles an Abschiedworten, was der Krieger übrig hat - er ist bereit zum Aufbruch.

Sternenblut

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Eine neue Ordnung
« Antwort #136 am: 14.01.2015, 12:38:16 »
Damit verabschiedeten sich Arjen und Will von Luca. Er ließ die beiden mit dem selbst gebauten Aufzug nach unten. Dort angekommen, warnte er sie noch einmal eindringlich davor, in der näheren Umgebung auf sich aufmerksam zu machen. Die Bande, die sich hier eingenistet hatte, war aus seiner Sicht eine größere Gefahr als die Untoten.

Und so gingen die beiden Gefährten den von Luca vorgezeichneten Weg in Richtung der Festung. Schon nach wenigen Minuten mussten sie sich in einem Hauseingang verstecken, um einer kleineren Gruppe wandelnder Toter - etwa zehn an der Zahl - aus dem Weg zu gehen. Doch die zwar gefährlichen, aber auch stupiden Kreaturen liefen an ihnen vorbei, ohne ihre Anwesenheit mitzubekommen.

So zog es sich eine Zeit fort: Sie liefen eine kurze Strecke, umgingen den einen oder anderen Toten, oder mussten auch einmal einen Umweg nehmen, weil eingestürzte Häuser und andere Hindernisse den Weg versperrten. Nach einer Weile, sie waren sicherlich schon eine halbe Stunde unterwegs, hörten sie in der Nähe einige Stimmen.

Will und Arjen versteckten sich hinter der Ruine einer kleinen Kapelle. Das Gebäude war ideal: Es gab Fenster auf Augenhöhe in allen vier Richtungen, die man durch die geringe Größe des Gebäudes - kaum mehr als zwei Schritt an jeder Seite - hervorragend im Blick behalten konnte. Welchem Glauben die Kapelle einst zugeordnet gewesen war, konnte man nicht mehr erkennen. Ein schmaler und schlichter Altar in der Mitte war von Ruß überzogen, religiöse Gegenstände waren keine mehr zu finden.

Durch das Fenster zur Nordseite hatten sie einen direkten Blick auf die Ruine, aus der die Stimmen kamen: Eine ehemalige Gaststätte, das eiserne Schild noch an einem Teil der Außenwand befestigt, der nicht zusammengebrochen war, auch wenn die Zeichnungen darauf nicht mehr zu erkennen waren. Über die hüfthohen Mauerreste konnten sie in den früheren Schankraum sehen, der voller Schutt lag. Das Gebäude hatte vermutlich früher zwei Stockwerke gehabt, doch das obere war vollständig eingebrochen und füllte nun den Schankraum aus. Der Schutt lag so hoch, dass der Boden so hoch war wie die ihn umgebenden Mauerreste.

Auf dem Schutt saßen zwei Männer, die sich ein kleines Lagerfeuer eingerichtet hatten. Um sich herum hatten sie angespitzte Pfähle angebracht. Deren Zweck zeigte sich durch einen einzelnen der wandelnden Toten, der es bis dorthin geschafft hatte: Der Pfahl hatte seinen Körper durchbohrt, und doch versuchte die Kreatur, sich immer weiter nach vorne zu schieben. Das Ganze war eine Zombie-Falle, und so lange die beiden Männer es nur mit wenigen der Kreaturen zu tun hatten, waren sie hier tatsächlich in Sicherheit.

Einer der Männer, kaum älter als zwanzig Jahre, stand auf und nahm einen schweren Hammer vom Boden auf. Er stellte sich vor den Toten, schüttelte den Kopf, und schlug dann mit aller Kraft zu. Der Hammer zertrümmerte den Schädel des Toten, der leblos in sich zusammensackte, nur noch gehalten durch den Pfahl, auf den er sich selbst aufgespießt hatte.

Der Mann hatte kurze, schlecht geschnittene braune Haare, und trug eine Hose und eine Weste aus braunem Wildleder. Sein Begleiter war vermutlich doppelt so alt wie er, hatte einen kahlrasierten Schädel, auf den eine Art Ornament tätowiert worden war, und trug eine schwarze Lederrüstung. An seiner Seite hatte er eine gefährlich blitzende Streitaxt.

"Schau nach, ob er was dabei hatte", befahl der glatzköpfige Mann. "Vergiss Geld und solche Sachen, uns interessiert alles, was nützlich ist: Nahrung, Werkzeug, Waffen und so."

Die beiden sprachen laut genug, dass Will und Arjen sie trotz gut fünfzehn Metern Entfernung verstehen konnten. Fast schien es, als wollten sie, dass man auf sie aufmerksam wurde.
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William Marlowe

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« Antwort #137 am: 20.01.2015, 10:47:22 »
Will verabschiedete sich mit einem "Viel Glück!" von Luca und einem Kopfnicken von den Kindern, gurtete sein Schwert wieder um und schnappte sich seine übrigen Habseligkeiten. Kurz darauf waren Arjen und er wieder unterwegs. Will warf einen letzten Blick zurück auf das Eckhaus, in dessen Garten Angelo begraben war—Umsonst habe ich dich im Stich gelassen, Angelo! Hätt ich nur trotzdem... aber zu spät!—dann zückte er Lucas Karte und übernahm als halbwegs Ortskundiger die Führung.

Sie redeten kaum. Will wiederholte Lucas Warnung wegen der Bande, die hier ihr Unwesen trieb, erläuterte Details auf der Karte, und man machte einander auf Gefahren aufmerksam—das war's. Arjen gab sich einsilbig, meist nickte er nur stumm, wenn Will ihn ansprach. War er ihm böse? Falls ja, mit gutem Recht! Hätte Will sich Luca gegenüber nur geschickter verhalten, ihm nur alles gesagt, was dieser hören wollte—'Natürlich wollen wir dableiben! Bis an unser aller Lebensende wollen wir diesen herrlichen, sicheren Ort nicht wieder verlassen!'—dann stünden sie jetzt nicht wieder auf der Straße, schutzlos, auf ständiger Flucht vor den wandelnden Toten.

"Es tut mir leid", sagte er kleinlaut. "Beim nächsten Mal lass ich dich reden, dann werden wir vielleicht nicht so schnell wieder rausgeschmissen."

Wenn wir überhaupt eingelassen werden! Angelo wird nicht der einzige bleiben, der mich gleich erkennt, aber außer ihm wird sich wohl niemand über das Zusammentreffen mit einem Verbrecher wir mir freuen. Wäre ich ein ehrlicher Mensch, ich müsste Arjen vorwarnen. Aber wie stellt man so etwas an? Wo tät ich da anfangen? Zumal seine Frau... Vielleicht warte ich doch besser ab. Die Leute haben schließlich andere Sorgen und nicht jeder geht ins Theater.

Will hatte diesen Gedanken noch nicht mit sich zuende debattiert—auch Arjen war noch nicht dazu gekommen, die Entschuldigung zu kommentieren—da zwang der Anblick zweier Bewaffneter sie dazu, sich in der Ruine einer kleinen Kapelle zu verstecken. Waren das zwei Mitglieder der Bande? Und selbst wenn nein: sie schienen sehr kämpferisch, sehr auf Plündern aus. Würden sie auch Lebende angreifen, um an deren Waffen, Rüstung und Lebensmittel zu kommen?

Gebannt beobachtete er, wie die beiden mit ihrem untoten "Opfer" verfuhren. Da erkannte er keinerlei Bedauern über die Notwendigkeit, diesen, der einmal ein Mensch gewesen war, den Schädel einzuschlagen. Überhaupt, das ganze sah regelrecht nach einer Falle aus, als wollten sie mehr anlocken, um diese zu plündern. Würden die beiden das so dreist tun, wenn nicht irgendwo in den umliegenden Ruinen Verstärkung lauerte?

Will wandte sich an Arjen. "Bogen?" fragte er so leise, dass dieser das Wort nur an der übertriebenen Lippenbewegung erkannte. Eine ausholende Handbewegung verdeutlichte das Gemeinte.
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Arjen Bucalo

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« Antwort #138 am: 24.01.2015, 14:10:54 »
Als Arjen und Will wieder auf der Staße waren, übernahmen die Kämpferinstinkte die kontrolle über den ehemaligen Armeehauptmann. Als die untoten im Gefängnis eingefallen waren, als er über die Straßen geflohen war, zunächst allein und dann mit Will, hatte seine Ausbildung dafür gesorgt, dass er richtig und schnell reagiert. Doch nun - nach den ruhigen Stunden bei Luca und der Möglichkeit, sich Gedanken über die Vorgehensweise zu machen, fühlte er sich zum ersten Mal vorbereitet auf die Gefahr.

Immer wieder kamen die Gedanken über Ben Haywoods Gegenrede an die Oberfläche. Arjan nahm sich fest vor, bei der nächsten passenden gelegenheit Will das schriftstück zurückzugeben. "Geheimnisse sind in unserer Situation das letzte, was wifr gebrauchen können. Und je länger ich das Schriftstück behalte, desto eher sieht es danach aus, als ob ich ein Geheimnis daraus machen wollte, oder ein Problem damit hatte."

Gerade wollte er dem Stückeschreiber erklären, dass er nicht wütend war, da zwangen die Stimmen der beiden Männer sie dazu, in den Ruinen der Kapelle Schutz zu suchen. Am Fenster knieend beobachtete er die Szenerie, die sich abspielte. Wie war diese Situation denn nun zu bewerten? "Diese Männer könnten alles Mögliche sein. Sie könnten nur zwei Mann sein, die sich einfach schützen wollen, wie Will und ich. Sie könnten auch Mitglieder dieser Bande sein, vor der Luca uns gewarnt hat. Dann müssten wir einen Bogen um sie machen. Andererseits: genau deswegen sind wir auf die Straße gegangen - um weitere Überlebende zu finden. Wir sollten es zumindest versuchen."

Mit diesen Gedanken wandte sich Arjen an Will und sah, wie dieser seine Frage stellte. Er schüttelte den Kopf, um anzuzeigen, dass er über keinen Bogen verfügte. Dann flüsterte er seinem kameraden seine Gedanken zu: "Ich denke, wir sollten uns zunächst die Umgebung ansehen. Falls wir keine weiteren Unterschlupfe oder Menschen entdecken, sollten wir uns trennen und uns von zwei Seiten an die beiden heranschleichen. Wir überraschen sie und geben diesen Vorteil erst her, wenn wir sicher sind, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht. Einverstanden?"

Während Arjen auf die Antwort von will wartete, hob er leicht den Kopf und schaute noch einmal aus den Fenstern - besonders intensiv in richtung er beiden Männer. Er versuchte, in den umliegenden Gassen und Hausruinen weitre Bewegung auszumachen oder Schlupflöcher zu entdecken, doch anscheinend war die Lage viel zu unübersichtlich, um sich ein verlässliches Bild zu machen.[1]
 1. Perception: 8

William Marlowe

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« Antwort #139 am: 24.01.2015, 21:18:01 »
So, Arjen wollte also keinen Bogen machen. Vielleicht hatte er recht. Bei dem Krach, den die beiden da vorn veranstalteten, kamen sicherlich gerade aus allen Richtungen die Untoten angeschlurft. Außerdem kannte der Mann sich besser mit solchen Situationen aus, hatte Militärstrategie nicht nur im Theater gelernt. Zu dumm, dass Will kein wirklich guter Kämpfer war... Einen einzelnen dieser schlurfenden Wiedergänger zu erschlagen war eine Sache—oder jemanden in einen tödlichen Hinterhalt zu locken, wie damals im Steinbruch, als er keinen anderen Ausweg mehr sah, als es ihm egal war, ob er überlebte oder der andere—aber jetzt wollte er leben, und die beiden dort sahen sehr wehrhaft aus. Und dieses Kunstwerk da auf dem glattrasierten Schädel des einen, das bedeutete doch bestimmt etwas. Will war sich sicher, dass er so etwas, oder etwas ähnliches, schon einmal gesehen hatte. In Gedanken ging er alle Sträflinge, die tätowiert gewesen waren, durch. Die meisten von denen hatten zu irgendeiner Bande gehört, aber eben nicht alle. Andererseits hatte er nicht wirklich Buch darüber geführt, geschweige denn sich überhaupt getraut, jeden darauf anzusprechen... und deshalb erkannte Will das Symbol jetzt nicht.[1]

Seine Knöchel waren weiß, so fest krallte sich seine Hand um den Schwertknauf. Aber er stimmte Arjens Vorschlag nickend zu und lugte ein paarmal vorsichtig aus dem Fenster, bei dem sie hockten, dann auch aus den beiden seitlichen, dann kam er wieder zu Arjen zurück und zuckte mit den Achseln: er hatte keine weiteren Leute oder mutmaßlichen Verstecke gesehen. Das hieß aber gar nichts.[2] Er verdeckte kurz beide Augen mit der Hand, schnitt dann kopfschüttelnd eine Grimasse. Dass seine Augen nichts taugten, hatte er ja vorhin bei Luca erst zugegeben.

Dann breitete er die Karte zwischen ihnen aus, damit sie sich per Fingerzeig auf ein Suchmuster einigen konnten und auch auf einen Fluchtweg, falls Flucht notwendig werden würde. Kaum war dies geschafft, kamen Will Zweifel an dem Plan. Er beugte sich vor und flüsterte Arjen ins Ohr:

"Warum schleichen wir nicht doch einfach vorbei statt hier überall herum?"

 1. knowledge(local) = 12
 2. Perception = 9
« Letzte Änderung: 25.01.2015, 00:20:27 von William Marlowe »
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Arjen Bucalo

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« Antwort #140 am: 03.02.2015, 15:51:06 »
Der Krieger konnte seinem Kameraden ansehen, dass auch dieser bei seinem Versuch, die Umgebung zu überblicken, wenig Glück gehabt hatte. Arjen merkte auch, dass Will recht nervös war, was durch dessen Vorschlag dann offensichtlich wurde.

Arjen ließ ging mit diesen Gedanken noch einmal in sich. 'Reiß dich zusammen, Bucalo. Das hier ist nicht das Heer. Du bist nicht als Kundschafter unterwegs und der Mann neben dir ist kein ausgebildeter Soldat. Luca hat uns von den Männern hier draußen gewarnt. Womöglich sind es nicht diese hier, aber wer weiß?'

Er schaute noch einmal zu Will und flüsterte dann zur Antwort: "Also gut - du hast Recht. Wir hatten vor, zur Festung zu gehen, also sollten wir diesen Plan auch nicht so leicht aufgeben."

Dann sah der Krieger noch einmal zu den beiden Männern hinüber, die dort einen Rabatz veranstalteten. Ein altes Zitat des Berühmten Generals und Philosophen Dehinges aus Eshmerat kam ihm plötzlich in den Sinn. Lord Haraldson mochte es sehr und hatte es des Öfteren zum Besten gegeben. Unwillkürlich musste er schmunzeln, und dann flüsterte er die Worte: "Männer, die hinterfragen, gelten als Intriganten, Männer mit Klarsicht gelten als Feiglinge, und Männer mit rüpelhaftem Benehmen werden fälschlicherweise für Krieger gehalten."[1]

Wahrscheinlich hält Will ihn für verrückt, in so einer Situation Binsenweißheiten von sich zu geben, also versucht Arjen ein paar Sekunden später das Gespräch wieder auf die aktuelle Situation zu lenken. "Ich gehe dann vor - bleib dicht dran."

Mit diesen Worten macht sich der Krieger auf, einen Bogen um die Männer schlagend den Weg fortzusetzen.[2]
 1. Originalzitat von Takeda Shingen, Japanischer Feldherr, 16 Jh.
 2. Meister, falls ich etwas würfeln soll, dann gib bitte Bescheid.

Sternenblut

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« Antwort #141 am: 03.02.2015, 17:36:37 »
Tatsächlich schafften es Arjen und Will, an den beiden Männern vorbeizuschleichen, ohne deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Noch in Hör-Reichweite der beiden Fremden, wären sie allerdings fast mit einer Gruppe von vier oder fünf wandelnden Toten zusammengestoßen, die offenbar von dem Lärm der Männer angezogen worden war. Einige Zeit mussten sie sich in einem Hauseingang verstecken, darauf hoffend, dass keiner der Toten sie entdeckte. Doch das Glück war auf ihrer Seite, und die Kreaturen liefen an ihnen vorbei.

Weiter folgten sie dem von Luca vorgezeichneten Weg - wenn auch, wie erwartet, nicht geradlinig. Einmal brach ein altes Wirtshaus vor ihren Augen in sich zusammen. Wären sie nur zehn Schritt weiter vorne gewesen, hätten die Trümmerstücke sie womöglich schwer verletzt, vielleicht sogar unter sich begraben. Doch der Zusammensturz lockte schnell weitere Untote an, und Will und Arjen mussten sich beeilen, einen neuen Weg zu finden.

Nach einiger Zeit führte ihr Weg an einem Friedhof vorbei. Will kannte den Ort; er war Zida geweiht. Doch der Barde hatte Zweifel, dass der Gottesacker noch immer unter dem Segen des Kindgottes stand. Denn nichts anderes als einen Geist sahen sie über den einst heiligen Boden schweben: Eine junge Frau, wunderschön und mit fließenden weißen Gewändern gekleidet, doch fahlweiß und durchsichtig! Durch sie hindurch konnte man die Grabsteine der Gräber sehen.

Ziellos wanderte sie auf der parkähnlichen Anlage umher, hindurch durch Stein, Blumen und Bäume, als wären diese gar nicht vorhanden. Von ihrem Standort hinter der Hauswand einer Gerberei konnten die beiden sehen, wie die Geisterfrau nach einer Blume griff, und sie aus dem Boden zog - trotz aller Körperlosigkeit war sie dazu offenbar imstande! Und im gleichen Moment hauchte die Rose ihr Leben aus, verdorrte zu einem schwarzen Rest, den der Geist achtlos fallen ließ.

Nur zwanzig Schritt und eine Begrenzung aus Rosenbüschen trennte Arjen und Will von der Erscheinung, die sie bisher noch nicht bemerkt hatte. Von ihrem Ziel waren sie keine zehn Minuten mehr entfernt.
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William Marlowe

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« Antwort #142 am: 03.02.2015, 19:27:40 »
Ungläubig starrte Will die Geisterfrau an, deren Existenz er gerade erst akzeptiert hatte, da riss die durchsichtige Schöne auch schon mit einer Hand einen Rosenstrauch aus der Erde mitsamt seinen meterlangen Wurzeln, gerade so als sei es Borretsch oder Goldmohn: die Kraft von fünf Männern schien die Dame in einer Hand zu haben! Aber für einen Geist konnte es ja keine Frage der Körperkraft sein, höchstens der Willenskraft—was Will jetzt nicht im mindesten beruhigte. Er stellte sich vor, wie sie ihm die Glieder einzeln vom Leib riss...

Dass er zurückwich, bemerkte er erst, als ein Zweiglein unter seinem Schritt knackte.[1]
 1. Stealth = 9
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« Letzte Änderung: 03.02.2015, 20:38:29 von William Marlowe »
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Sternenblut

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« Antwort #143 am: 03.02.2015, 22:48:26 »
Kaum ertönte das Knacken, wand sich die geisterhafte Frau auch schon zu Will um. Ihr zuvor friedliches Gesicht verwandelte sich in eine Fratze des Schreckens, den Mund so weit geöffnet, dass ihr Gesicht fast die doppelte Länge erreichte. Bösartig verzerrt und von stobenden weißen Geisterfunken umgeben starrte sie Will an, und stieß einen gellenden Schrei aus, der den Männern durch Mark und Bein ging...[1]
 1. Rettungswurf (Wille) gegen SG 18, oder ihr verfallt in Panik
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William Marlowe

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« Antwort #144 am: 04.02.2015, 13:32:29 »
Will begriff gar nicht, was er da im Einzelnen sah und hörte. Vielleicht schrie er ebenfalls, er hätte es nicht sagen können. Er wusste nur, dass er davonlief, so schnell seine Beine ihn trugen. Nicht auf die Richtung achtete er, noch darauf, ob Arjen ihm folgte oder nicht, hatte auch kein Auge oder Gedanken übrig für andere Gefahren. Ein untoter Hügelriese mochte ihn am Ende dieser Gasse erwarten, er würde ihn nicht vor dem Zusammenstoß bemerken.

So fühlt es sich also an, kopflos zu fliehen. Ich hab mir das ja schon öfters versucht vorzustellen...
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Sternenblut

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« Antwort #145 am: 06.02.2015, 10:19:20 »
Die reine Panik ergriff Will und Arjen. Was sie gesehen hatten, durfte nicht sein. Trotz allem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatten, wandelnde Tote, zerfallene Leichen, die sich bewegten und hungrig waren auf das Fleisch der Lebenden: Es war die Hölle auf Erden. Diese Kreatur aber - sie entsprang einer anderen Welt. Der Schrei hatte die beiden Männer bis ins Mark erschüttert, und sie dachten an nichts anderes mehr als daran, zu fliehen. Was immer ihnen geschehen mochte, welchen Kreaturen sie auch begegnen mochten, es konnte nicht so schrecklich sein wie das, was sie eben gesehen hatten...

Straße um Straße ließen die beiden Männer hinter sich, rannten eher zufällig in die gleiche Richtung, kopflos, ziellos. Ob sie Minuten gerannt waren oder Stunden, das konnten sie kaum noch sagen. Völlig erschöpft blieben sie irgendwann stehen. Sie waren in einer schmalen Seitengasse, hatten es irgendwie geschafft, in keine Horde von Untoten zu rennen, und waren umgeben von niedergebrannten Wohnhäusern.

Irgendwo in Aradan, fernab des Planes, den Luca für sie aufgezeichnet hatte.
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Arjen Bucalo

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« Antwort #146 am: 07.02.2015, 10:25:59 »
Keuchend und hustend blieb Arjen stehen. Seine Lungen schmerzten, als hätte er rußgeschwängerten Rauch eingeatmet und sie veräzt. Es erinnerte ihn an die Dauerläufe während des Rekrutentrainings im Heer. Die Brust hob und senkte sich und langsam begann sich der Nebel des Schreckens in seinem Geist zu klären. Der Schrei dieser Kreatur hatte ihn bis ins Mark erschüttert - hatte seinen Kopf, sein Denken völlig ausgeschaltet. Nur noch die tierhafte Furcht war geblieben und hatte ihn fliehen lassen.

"Bei den Göttern - was war das denn für eine Kreatur? Was ist bloß los mit dieser Welt?" Arjen stützte sich auf den Knien ab und versuchte, seine Atmung - immer noch schwer und keuchend - zu beruhigen. "Will!", durchfuhr es ihn plötzlich. Ein Gefühl der Scham überkam ihn, dass er losgerannt war, ohne auch nur einen Gedanken an seinen Nebenmann. Er hob den Kopf und begann sich umzusehen, doch er hörte den Stückeschreiber eher, bevor er ihn neben sich sah - auch Will atmete schwer und stoßweise.

Langsam normalisierte sich der Blutfluss - das Herz pumpte nicht mehr so wild und auch das Rauschen in den Ohren ließ nach. Arjen richtete sich auf und machte einige Schritte auf seinen Kameraden zu, bis er neben ihm stand.

"Geht es wieder?", fragte er. Während er fragte, schaute er Will genau an. Er versuchte einzuschätzen, wie sehr der Dauerlauf und der Schreck ihm zugesetzt haben.

William Marlowe

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« Antwort #147 am: 07.02.2015, 14:56:47 »
Als Arjen ihn fragte, ob er sich wieder eingekriegt habe, errötete Will bis an die Haarwurzeln. "Ähm", sagte er. "Also ich, ähm... das war... wie soll ich sagen..."

Offenbar hatte Arjen, auch wenn er ebenfalls etwas erschrocken aussah, den Kopf nicht halb so sehr verloren wie Will, jedenfalls schien er ihm gefolgt zu sein, was bewies, dass er seine Sinne einigermaßen hatte beisammen halten können. So dankbar Will dafür war, nicht allein zu sein, so sehr wünschte er sich, es hätte für dieses Schauspiel gerade keinen Zeugen gegeben...

"Schöne Frauen waren schon immer mein Ruin", versuchte er zu scherzen. "Vor allem, wenn sie auch noch so herzzerreißend singen können."

Darüber nachdenken, was das wohl für eine Erscheinung gewesen war, wollte er eigentlich nicht—jedenfalls nicht, bevor man nicht irgendwo in Sicherheit war—doch drängte sich ihm der Gedanke auf, dass die gespenstische Frau, da man ihr ja doch relativ leicht hatte entkommen können, am Ende den Friedhof gar nicht hat verlassen können. Das hatte Will nämlich des öfteren gelesen: dass Geister an einen Ort oder Gegenstand gebunden waren, oft ihr Grab, die Stätte ihres Todes oder jenen Edelstein, um dessenwillen ein Dieb sie ermordet hatte. Man hätte also gar nicht so weit fliehen brauchen, wenn man sich nur ein wenig besser im Griff hätte.

Dann sah auch er sich um und versuchte, sich zu orientieren. Kannte er diese Gasse? Sah man die Festung von hier aus? Immerhin war man vorhin ja fast dort gewesen. Oder ließ sich wenigstens noch sagen, in welche Richtung der Friedhof lag? Gab es sonst irgendwelche Merkmale—prominente Gebäude, Denkmäler, Parks oder dergleichen in der Nähe? Erkannte er eines der Merkmale von Lucas Karte in der Ferne wieder?[1]

"Verflucht, und wir wären fast am Ziel gewesen. Hast du eine Ahnung, in welche Richtung wir müssen?"
 1. perception = 9; knowledge (local) = 15
« Letzte Änderung: 07.02.2015, 17:00:10 von William Marlowe »
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Arjen Bucalo

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« Antwort #148 am: 09.02.2015, 18:39:51 »
Bei Wills Frage schüttelte Arjen verneinend den Kopf. "Nein", sagte er. "Ich bin erst seit kurzem in der Stadt." Der Krieger macht eine Pause, fügt aber dann noch etwas hinzu. "Und in der Zeit, die ich da bin, hatte ich keine Gelegenheit zu Spaziergängen. Ich kenne die Stadt also überhaupt nicht."

Wieder weitgehend beruhigt, versucht Arjen Ordnung in das Chaos in seinem Kopf und um sie herum zu bringen. Instinktiv zieht er sein Schwert und macht eine langsame und bedächtige Umdrehung um seine eigene Achse. Dabei hält er Ausschau nach Bewegungen - ob nun von Menschen oder von Toten.[1]

"Verdammt noch Mal!", flucht er innerlich. "Wir waren fast da und jetzt sind wir wohl genauso weit, wie heute morgen, bevor wir Luca trafen."

Während er mit seinem Blick die Umgebung absucht, wendet er sich erneut an Will: "Erkennst du etwas um uns herum? In was für einer Gegend sind hier?"
 1. Perception 11
« Letzte Änderung: 09.02.2015, 21:50:34 von Arjen Bucalo »

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« Antwort #149 am: 09.02.2015, 22:26:14 »
Zwei wandelnde Tote, etwa fünfhundert Schritt die Straße herunter, die an die Seitengasse angrenzte. Das war für den Moment die einzige Gefahr, die Arjen erkannte. Die Kreaturen aber liefen geradewegs auf sie zu.

Auch Will warf einen Blick auf die größere Straße. Dort, wo die beiden Gestalten auf sie zukamen... war das nicht die Schule, die er in einiger Entfernung entdeckt hatte? Und dort, die Näherei... ja, sie waren hier vorbei gekommen. Und es war gar nicht lange her!

Sie waren vermutlich nur wenige Minuten in heilloser Panik gerannt, wenn überhaupt. Allerdings waren sie auf ihrem ursprünglichen Weg auf der anderen Seite hinter den Toten entlang gelaufen. Sechs-, höchstens siebenhundert Meter entfernt.

Will warf einen Blick auf die Karte. Sie befanden sich genau außerhalb des Gebiets, das Luca eingezeichnet hatte.

Sie könnten vermutlich einfach an den beiden langsamen Kreaturen vorbeilaufen, ohne in Gefahr zu raten. Oder sie würden durch unbekannte Nebenstraßen einen Weg zurück auf ihren Pfad finden.

Und dann mussten sie noch entscheiden, wie sie den Friedhof umgingen, denn hier zeigte Lucas Karte keinen alternativen Weg.
« Letzte Änderung: 09.02.2015, 22:27:23 von Sternenblut »
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