Auf seinen Kommentar bekam Gerion keine Antwort. Ob das daran lag, dass die königliche Wache ihn einfach nicht verstand oder nicht mit ihm reden wollte, war nicht sicher. Zumindest blickte das kleine Reptil den Waldläufer nicht fragend an und versuchte auch nicht weiter mit ihm zu kommunizieren. Stattdessen wurde er unter wachsamen Augen und mit einem auf die Brust gerichteten Kurzspeer durch den kleinen Gang geführt, bis er die nächste Höhle erreichte. Diese war, dafür das sie in der menschlichen Kultur einer Art Thronsaal gleichen müsste, wohl recht enttäuschend und gleichzeitig interessant.
Wie bei den anderen Koboldhöhlen auch, waren die Wände und die Decke nicht weiter bearbeitet, sondern schlicht, einfach und vollkommen schmucklos. Kein Vergleich zu den Zwergenräumen ein Stockwerk höher, obwohl diese auch für Zwerge recht prunklos und karg wirkten. Lediglich drei Einrichtungsgegenstände gab es. Zwei breite Feuerschalen, die mit brennendem Holz gefüllt waren, sorgten für Licht. Viel interessanter waren aber der Thron und natürlich die Person, die darauf saß. Die Sitzgelegenheit des Koboldkönigs war sehr ungewöhnlich und makaber. Es war der skelettierte Leichnam eines riesigen Tausendfüßlers, der so ausgerichtet worden war, dass Merlokrep ohne Probleme auf der Unterseite sitzen konnte. Auf diese Weise sah es so aus, als würden ihn die knochigen Stummelfüße des toten Insektes umarmen. Die Lehne des Throns bestand aus dem Kopf des riesigen Ungeziefers und auch nach dem Tod waren die gewaltigen Mandibeln des Tausendfüßlers noch furchteinflößend. Steinerne Blöcke stützen das ganze Konstrukt und verhinderten, dass der Thron in sich zusammenfiel.
Sollte Merlokrep selbst für den Tod dieses Biestes verantwortlich sein, dann war er vermutlich noch gefährlicher als Anfangs angenommen.
Neben dem Thron stand noch eine weitere der in Gold gekleideten Wachen und betrachtete Gerion neugierig. Der Koboldkönig selbst schien sich nicht für den Neuankömmling zu interessieren und war gerade dabei mit einem Stein seine Axt zu schärfen. Wie auch seine Leibwachen, war Merlokrep kein gewöhnlicher Kobold. Die sonst so schwächlich wirkenden Attribute seiner Rasse konnte man an ihm nicht erkennen - wenn man einmal von der Körpergröße, die mit etwas über einem Meter bereits überdurchschnittlich war, absah. Dicke Muskelberge zeichneten sich zwischen seiner Rüstung und Kleidung ab. Wie seine Wachen auch, trug er goldene Armschienen, Beinschienen und einen Gürtel. Goldene Ohrstecker zierten seine gepflegten Ohren, während die königliche Schnauze von zwei goldenen Lippenpiercings und einem Nasenring geschmückt wurde. Sein Oberkörper war frei und ungeschützt, doch trug er einen seidenen, roten Umhang auf dem Rücken. Auf seinem Kopf thronte eine kupferne, zackige Krone, deren Spitzen mit getrocknetem Blut besudelt waren. Außerdem trug er genau in der Mitte der Krone den Schädel eines unbekannten Wesens.
Als sich der König schließlich nach einigen Sekunden seinem Besucher zuwandte, konnte dieser erkennen, dass dem Kobold ein Auge fehlte. An seiner statt, hatte Merlokrep einer Augenbinde gleich, einen weiteren Schädel an seiner rechten Gesichtshälfte festgebunden. Alles in allem wirkte der König wie eine Person, die bereits einige Kämpfe hinter sich gebracht hatte.
Das gesunde Auge des Königs stierte Gerion wild an. Er nahm seine Axt "Mann-Hau" zur Hand und stand auf. Als der Koboldkönig begann zu sprechen, wurde klar, dass er einer der wenigen Kobolde war, der der Handelssprache mächtig war und diese sogar ziemlich gut beherrschte.
"Willkommen! Du und deine Freunde kommen gerade recht! Bevor ich euch das Herz rausreiße, dürft ihr gerne an meiner Festtafel sitzen und Teil der Opferzeremonie werden." Sollte sich Gerion überrascht gezeigt haben, dann überging das der Koboldkönig mit einer wegwerfenden Handbewegung.
"Glaubt ihr wirklich, ihr könnt euch an mich, Merlokrep den Einzigartigen, den Großen, den Drachenkönig ranschleichen? Jekkajak hat die Wohnhöhle schon vor langer Zeit verzaubert." Gedankenverloren schärfte er seine Axt weiter.
"Ein paar starke Roshäute sind bestimmt bessere Opfer als diese jämmerlichen Babys." sinnierte er vor sich hin. Schließlich rief er mit
"Jekkajak! Zu mir!" nach seinem Schamanen und wandte sich grinsend und abwartend wieder Gerion zu.