Rick ist froh, daß er doch nicht so spät wie gedacht da ist und noch einen Platz weiter hinten abbekommt.
Dort stellt er seinen Klarinettenkoffer unter den Stuhl und versucht eine bequeme Sitzhaltung zu finden.
Denn den Vortrag, der jetzt kommen wird, hat in ähnlicher Form schon die Jahre zuvor gehört.
Einer der Gründe weshalb er auch schon nach wenigen Minuten gar nicht mehr zuhört, sondern seine Gedanken schweifen läßt. Wieder ist er bei dem Stück, das er gleich spielen soll. Aber noch immer hat er sich nicht für eine Variante entschieden. Wieder und wieder geht er es im Kopf durch und entschließt sich dann für eine eigene Interpretation, die bestimmt einige überraschen wird.
Gerade ist er zu dem Entschluss gekommen, als auch schon die Rede des Rektors endet. Ricky kam sie gar nicht so lang vor, aber schliesslich hat er auch nicht zugehört.
Das Spiel seiner Mitschülerin genießt er. Zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen lauscht er aufmerksam auf jede Nuance ihres Spiels. Nichts bleibt seinem Gehör verborgen, wie zum Beispiel der sanfte Anschlag während eines Teils, wo andere Künstler eher einen kraftvollen wählen. Oder die Achtelnoten, die im Original als Viertelnoten vorkommen und hier für ein wenig mehr Lebendigkeit im Stück sorgen.
Als sie geendet hat, öffnet er wieder die Augen. Und als er sieht, wie er nach vorne gewunken wird, erschrickt er kurz. Aber das kurze Lampenfieber ist er inzwischen gewohnt und wenn es nicht auftauchen würde, wäre er bestimmt erst recht verunsichert. Rick greift unter seinen Stuhl und holt den Koffer hervor, um sich dann auf den Weg zur Bühne zu machen.
Dort angekommen nimmt er fast zeremoniell die Klarinette heraus und macht sie spielbereit. Noten hat er keine dabei; er hat sie in seinem Kopf.
Noch einmal atmet er durch, während der Rektor seine Erklärung abschließt.
Kurz verbeugt er sich vor dem Plublikum und setzt dann das Instrument an die Lippen. Er schließt erneut die Augen, um sich der Musik hinzugeben.
Den Anfang spielt er langsam in Moll. Und so klingt es traurig, getragen. Rick hofft, so das Gefühl einzufangen, das die neuen Schüler wohl empfinden müssen, da sie ihr Heim, ihre Familien und viel Vertrautes hinter sich lassen.
Abschied!
Doch dann wird sein Spiel schneller und fröhlicher. Etwas anderes soll in die Herzen der Zuhörer fliessen. Das, was die Neuen ebenfalls fühlen sollten; was er jetzt verstärken möchte, um sie die Trauer vergessen zu lassen. Die Noten hüpfen fast aus dem Instrument.
Aufregung, Neugier über das Kommende!
Und dann läßt sich Ricky ganz in sein Spiel fallen. Wenig ist sein Spiel nun von den Vorgaben des Komponisten geprägt. Stattdessen läßt er einfach seine Finger die Klappen bewegen, wie es ihnen gefällt. Er weiß, daß sie schon die Richtigen Töne treffen werden.
Die Freude an der Musik!
Diese drei Gefühle soll sein Spiel vermitteln und in den Zuhörern wecken
[1].
Er selbst sieht beim Spiel vor seinem inneren Auge die Szenen, wie sie sich in seinem Leben abgespielt haben und kann so die Gefühle auch noch einmal erfahren.
Als er dann geendet hat, öffnet er Augen und schaut leicht verträumt ins Publikum. Ob sie verstanden haben, was er erreichen wollte?