Erthoran verspürte keine Ungeduld, zumindest nicht im Moment. Er war ungeduldig gewesen nachdem er das Testament gefunden hatte, denn es hatte Wochen gedauert, bis er einen Termin bei den Obersten seines Ordens in dieser Region bekommen hatte, nachdem er bei seinem übergeordneten Ordensbruder darum ersucht hatte. Und dann war noch viel Zeit für Beratungen und Bedenken verschwendet worden, die zu nichts anderem führte, als Erthoran die Erlaubnis zu geben, sich weiter zu kümmern und eine Idee auszuarbeiten, wie man vorgehen könne. Dies ging dann schnell, aber was danach folgte, bis er die Erlaubnis bekam, seine Idee auch umzusetzen, hatte seine Geduld erneut sehr strapaziert. Und er musste zugeben, er hatte auch ungeduldig auf den heutigen Tag gewartet. Er hatte einige Meldungen erhalten, dass Interessenten gefunden und geschickt wurden, aber wer wirklich kommen würde, das blieb die große Unbekannte. Nun war der Tag da, sein Raum war voll und der Abt war voller Begeisterung über die vielen höchst unterschiedlichen Personen, die zusammen gekommen waren. Ein wenig war er enttäuscht, dass kein Elf dabei war, aber immerhin floss elfisches Blut in einem der Kandidaten. Nun war es aber an der Zeit, die Einzelgespräche zu beginnen. Er hatte sie gut vorbereiten, einen kleinen Raum ausgewählt und sich gegen einen klassischen Wahrheitszauber entschieden. Als Priester Erastils wusste er wie man die Wirkung von Pflanzen und Magie kombinieren konnte und so versuchte er, eine etwas angenehmere Stimmung als einen Befragungskreis unter einem Zauber zu schaffen. Er hoffte, dass es ihm gelungen war. Aber das würde er gleich sehen.
Er wählte also zunächst Ponzio aus, er hatte sich gemeldet und das war immer ein guter Anfang, und brachte ihn in einen anderen Raum. Der junge Priester blieb derweil mit den anderen Abenteurern zurück. Aber irgendwie wusste er nicht recht, was er dort anfangen sollte, also nahm er die leeren Krüge und Obstschalen und ging hinaus, um sie wieder zu füllen.
Die Einzelgespräche fanden in einem kleinen, runden Raum auf der anderen Seite des Andachtsraums statt. In der Mitte des Zimmers stand ein kleiner Tisch aus Holz, in dessen Mitte eine Holzschale mit einer dunklen, dampfenden Flüssigkeit. Mehrere Kerzen standen auf einem Sims, der an der Wand entlang verlief, hüllten den Raum in ein diffuses Licht. In einer Ecke des Raum hing eine Hängematte, daneben, auf dem Sims, stand eine weitere dampfende Schale, deren Rauch die Hängematte bereits einhüllte. Weitere Möbel gab es in dem Raum nicht. Danach stellte er nacheinander seine Fragen, es waren bei allen Interessierten dieselben Fragen. Er war schon gespannt, wie die verschiedenen Personen auf die Fragen reagieren würden, besonders neugierig war er auf die Reaktionen der treuen Anhänger seines Gottes.
Während die anderen warteten tat sich nicht besonders viel. Alyssa war kein großer Fan von Smalltalk und da noch nicht feststand, wer im Endeffekt wirklich bei dieser Aufgabe mitmachen würde, wollte sie sich auch noch nicht über wichtige Themen unterhalten. Eine Zeit lang verbrachte sie deshalb wohl recht schweigsam und bediente sich lediglich am Wasser, während sie ihren Gedanken nach hing.
Das Gespräch mit Ponzio dauerte ungefähr eine halbe Stunde und Erthoran sah es als ein gutes Gespräch an. Danach wurde der Mann in eine kleine Kammer gebracht, wo er sich ausruhen konnte und die junge Frau, Alyssa, zum Gespräch gebeten. Die junge Frau beantwortete recht schnell die Fragen und wirkte schnell recht müde. Erthoran überlegte, ob er die das Verhältnis von Kräutern und Brennmaterial nicht gut gewählt hatte. Er würde das weiter beobachten. Nachdem alles wichtige geklärt war, wurde auch Alyssa ihre Kammer gezeigt und Eronomion in den Raum gerufen. Auch dieses Gespräch war locker und beinahe unterhaltsam und Erthoran hatte ein gutes Gefühl mit der bisherigen Zusammensetzung der Gruppe. Er wollte die Gespräche mit den Anhängers Erastils am Ende führen, daher war Paran der nächste Kandidat. Und so ging es weiter, es folgten noch Kivan, Angrosch, Oldor und Dolok. Alle Gespräche waren interessant und aufschlussreich für den Abt, aber wie er erwartet hatte deutete es der eine oder andere Anhänger Erastils als Misstrauen, dass er unter Einfluss von Magie befragt wurde. Es erschien einigen wohl eher als Prüfung denn als Gespräch. Der Abt hoffte, ihre Zweifel ausgeräumt zu haben, denn es lag ihm fern, diese Männer besonders prüfen zu wollen. Irgendwann waren die Einzelgespräche alle beendet und die Gäste in ihren Kammern.
Der Abt ging in den ersten Raum zu seinem Gehilfen.
"Nun, mein Junge. Wie ist dein Eindruck?" Als Antwort erhielt Erthoran zunächst einen unsicheren Blick des Mannes. Er hatte ihn für diese Aufgabe ausgewählt, weil er eine Aufgabe benötigte, die ihn weg vom Tempel bringen würde. Der Junge war etwas zu einfältig, er stammte aus einem Dorf in der Nähe, seine Eltern waren Bauern gewesen. Sie waren bei einem Feuer in der Scheune ums Leben gekommen und so kam der Junge ins Kloster. Seither hatte er sich immer innerhalb der Mauern aufgehalten und hatte sich stete gestreunt, Aufgaben in der Stadt auszuführen. Aber es war nicht gut, immer nur in einem Tempel zu sein, man musste die Welt da draußen kennen lernen. Als Priester hatte man oft mit den Nöten der Menschen zu tun und diese Nöte konnte man oft nicht verstehen, wenn man das Leben der einfachen Menschen nicht kannte. Außerdem fürchtete der Abt, dass der Junge immer noch eine tiefe Angst vor der Welt in sich trug, ausgelöst durch den Tod seiner Eltern. Horis wusste noch nicht, dass er nicht nur der Ansprechpartner der Gruppe hier sein würde, sondern ihnen demnächst folgen sollte. Und heute war auch nicht der richtige Zeitpunkt, es ihm zu sagen.
Horis fühlte sich schrecklich, der Abt hatte ihn nicht nur angesprochen, er wollte seine Meinung wissen. Der Abt, seine Meinung. Was sollte er sagen, wenn er falsch lag, wenn er etwas Dummes sagte, wenn er, wenn er.....
"Nun mein Junge, dies ist keine Prüfung, ich möchte einfach wissen, was du denkst."Es dauerte einen Moment, bis Horis sich traute etwas zu sagen.
"Also, es ist, ähm, also eine sehr unterschiedliche Gruppe von Leuten. Ich fürchte, sie werden sich nicht verstehen.""Ja, das wird interessant, da hast du Recht. Lassen wir uns überraschen, wie es heute Abend wird." Erthoran gähnte, natürlich war auch er nicht unbeeinflusst von seinem Arrangement geblieben.
"Ich bin müde. Richte bitte die Tafel für das Abendessen für unsere Gäste, dich und mich. Zur Abenddämmerung werden wir wieder zusammen kommen. Bitte wecke mich ein Glas vor Beginn des Essens und die Gäste nach mir."Horis nickte und Erthoran zog sich zurück.
Es war schon beinahe dunkel als die Abenteurer einer nach dem anderen geweckt und nachdem sie sich frisch gemacht hatten zum Essen gerufen wurden. Dolok war vor den anderen geweckt worden, denn für ihn war eine wichtige Nachricht eingetroffen. Was genau darin geschrieben stand wusste der Abt nicht, allerdings kam Dolok kurz darauf zu ihm und sagte etwas von einer dringenden Angelegenheit, weswegen er sich doch nicht der Gruppe anschließen könne. Mehr sagte er nicht dazu und der Abt fragte auch nicht weiter nach. Er fand es zwar schade, dass der Mann die Gruppe nicht begleiten würde, denn er wäre sicher eine Bereicherung gewesen, aber der Wille Erastils war häufig etwas eigenwillig und das zeigte sich im Leben seiner Anhänger. So sollte es sein und der Abt ließ sich davon nicht lange betrüben.
So war es nurnoch Sieben, die wieder in dem Raum aufeinander trafen, in dem sie sich um ersten Mal begegnet waren. In der Mitte stand nun ein großer Holztisch und Feuerschalen erhellten die Tafel. Es war bereits gedeckt, es gab gebratenes Geflügel und Fisch, Gemüse und Brot, und dazu Quellwasser, Wein und Bier. Der Abt war bereits im Raum, sein Platz war am Kopfende der Tafel und er bat Ponzio an seine Seite, als dieser eintrat.
"Ich hoffe, ihr seid ausgeruht. Herr Ponzio, kommt ihr zu mir, dieser Stuhl hat ein etwas weicheres Kissen, genau wie meiner. Ihr anderen, bitte nehmt Platz. Leider musste einer der Helden für diese Aufgabe sich aus persönlichen Gründen bereits wieder verabschieden - Erastil möge seinen Weg von Schlingpflanzen und Untieren frei halten - so dass ihr nun wohl nur zu siebt reisen werdet. Aber bitte, zunächst lasst uns essen. Greift zu, ihr werdet hungrig sein, mein Kräuterdampf hat bei den meisten diese Wirkung. Also, lasst es euch schmecken." Damit setzte er sich und hielt Ponzio die Schale mit dem würzig duftenden gebratenen Truthahn hin.
Als sie nun alle saßen und den Duft des Essens in ihre Nasen stieg merkte sie schnell, dass sie tatsächlich sehr hungrig waren und so wurde zunächst nicht viel gesprochen. Es gab reichlich von allem, so dass niemand sich eilen musste.
Als die Mägen dann langsam gefüllt waren, schien die richtige Zeit für weitere Gespräche gekommen zu sein.
"So. Ich hoffe es hat euch geschmeckt. Die Speisen Erastils sind einfach, aber von der Natur geschenkt. Und nun ist die Zeit für all die Dinge, die euch beschäftigen und die vor eurer Abreise noch besprochen werden sollen."Damit schaute er mit wachen Augen in die Runde.