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« am: 28.01.2020, 00:08:48 »
Nach ihrer Rückkehr hatte Jykel sich mit aller Macht in seine Arbeit geworfen und jeden Kontakt mit den anderen, die mit ihm auf die Suche gegangen waren, gemieden. Es war nicht nur die Suche selbst gewesen und die Bedrohungen für Klauenhafen, die sie unterwegs entdeckt hatten, die er verdrängen wollte, sondern wohl noch mehr sein Rückfall in die alte Wut, die er für beherrscht gehalten hatte, nur um feststellen zu müssen, wie schnell ihm die Kontrolle über sich selbst entglitten war.
Tag für Tag hämmerte, maß und sägte er, um neue Häuser für die Stadt hochzuziehen und alte instand zu halten, doch das ersehnte Vergessen kam nicht. Schließlich wand er sich in seiner Verzweiflung an Brogar, in der Hoffnung, dass der gelehrte Zwerg einen Ratschlag für ihn hatte, und es folgten Stunden um Stunden an Gesprächen, die die beiden miteinander führten. Immer wieder wälzte Brogar alte Schriften, und schließlich fand er etwas, was die entscheidende Wende bringen sollte: Die alten Aufzeichnungen nannten es den Pfad des Totemkriegers.
Berichtet wurde dort von Zwergen, die wir Jykel von einer Art innerer Wut beherrscht wurden, die immer wieder drohte, willenlose Berserker aus ihnen zu machen, die eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten. Doch mithilfe von langen Meditationen gelang es diesen Kriegern, eine Verbindung zu einem Totemtier herzustellen, welches die Wut, die in ihnen brodelte, band und deren Macht in mächtigen Fähigkeiten kanalisierte.
Von diesem Tag an verbrachte Jykel beinahe Tag und Nacht damit, zu meditieren und zu versuchen, sich selbst in Trance zu versetzen. Brogar unterstützte ihn oft, wenn seine Zeit es zuließ, doch Tag um Tag verging, ohne dass sich ein Erfolg einstellen wollte. Täglich wuchs der Frust in ihm, doch eines Tages, erschöpft von ständigen Versuchen, fiel Jykel in einen unruhigen Schlaf, in dem die Ereignisse von damals noch einmal abliefen: Wie er dem Elfen den Brustkorb spaltete, doch der Blutdurst des Dings in ihm weiteres Elfenblut forderte; wie er als nächstes Niyall nachstellte; wie sich Sé in ihrer Tiergestalt zwischen ihn und sein Opfer stellte.
Doch es war nicht der Tiger, den er dort sah, sondern ein Bär, der nun zu ihm zu sprechen begann. "Lass mich dir helfen, Jykel." sagte das Tier, und der Zwerg begriff plötzlich, dass es sich um einen Totemgeist handeln musste. "Verbinde dich mit mir und lass mich die Macht, die in dir schlummert, für gutes nutzen."
Nach einem tiefen und erholsamen Schlaf wachte Jykel am nächsten Morgen erfrischt auf, und wunderte sich über den Traum, den er in der Nacht gehabt hatte. Als er zur Waschschüssel trat, um sich den Schlaf aus den Augen zu waschen, spiegelte sich sein Gesicht für einen Moment in der glatten Oberfläche, und der Zwerg kippte vor Schreck einen großen Teil des Wassers auf den Tisch. Um sicher zu gehen, dass er sich nicht getäuscht hatte, griff er sich seine Axt - das beste, was ihm einfiel, worin sich sein Gesicht ein wenig spiegeln konnte. Etwas undeutlich, da seine Waffe nicht mehr neu und blank poliert war, erkannte er die bekannten Züge - doch sie waren ein wenig verzerrt, und das lag nicht an seiner Axt. Die Augenbrauen waren noch etwas buschiger als zuvor, die Augen schienen eine dunklere Färbung zu haben, und wirkte seine Nase nun nicht ein wenig wie eine Schnauze? Und in seinem Mund - er fühlte mit der Zunge und öffnete ihn sodann, um zwei Fangzähne freizulegen, die mit Sicherheit gestern noch nicht dort waren. Es gab keinen Zweifel mehr: Der Traum musste echt gewesen sein, und die Verbindung mit dem Bären hatte nicht nur seinen Geist verändert! Es waren nur Nuancen, und auf den ersten Blick konnte man übersehen, was mit ihm geschehen war, doch er hatte nun etwas deutlich bäriges in seinem Aussehen.
Einige weitere Tage vergingen, die Jykel stark in sich gekehrt verbrachte, auch wenn er wieder mit der Arbeit an den Häusern begann. Immer wieder gingen ihm die Worte des Bären durch den Kopf, doch der Glaube daran, dass damit sein Fluch tatsächlich gebannt sein sollte, fehlte ihm weiterhin. Am besten, man ließ es nie wieder zu einer Situation kommen, in der er feststellen konnte, ob der Bär ihm half.
Als er so eines Morgens in Gedanken in seiner Baustelle stand und vor sich hin starrte, stand plötzlich ein Bote Bolins vor ihm und bat ihn zu kommen. Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen, denn natürlich hatte er mitbekommen, dass das Mädchen, dass sie zurückgebracht hatten, nun dort untergekommen war - und er hatte sie nicht einmal besucht, genauso wenig wie den Jungen. Zu sehr wollte er verdrängen, was passiert war; und zu wenig konnte er mit Kindern umgehen. Es war feige gewesen, keine Frage - doch er versuchte sich selbst davon zu überzeugen, wie viel er mit anderen Dingen um den Kopf gehabt hatte. Jetzt jedoch gab es keine Ausrede, denn er machte sich keine Illusionen, was Bolin von ihm wollen würde.
"Ich komme gleich, muss nur noch das Gröbste wegräumen." teilte er dem Boten mit, und tatsächlich war er nur einige Minuten später selbst auf dem Weg zum Gasthaus, gespannt, was Bolin ihm mitzuteilen hatte.