„Vergesst nicht, dass es möglicherweise beabsichtigt ist, dass wir wenig mit dem Schriftzeichen oder Symbol anfangen können“, gab Dana zu bedenken und meldete sich damit zum ersten Mal in diesem neuen Gespräch zu Wort. Sie war tatsächlich ziemlich schweigsam gewesen, doch sie hatte dafür ihre Gründe.
„Selbst wenn wir mögliche Bedeutungen ausfindig machen, bleibt uns dennoch nichts anderes übrig als zu spekulieren. Ich würde jedoch ungesehen davon ausgehen, dass es sich tatsächlich eine Botschaft statt eine Markierung ist. Was würde jemand veranlassen, etwas mit Blut schreiben?“, fragte auch sie sich.
„Es mag tatsächlich Warnung sein, ein ausgemachtes Zeichen für bestimmte Bewohner des Ortes, oder vielleicht ist es eine Drohung an uns“, stimmte sie Ichabod mit einem Nicken zu und blickte ihm einen Moment lang in die Augen. Er war angespannt, so wie sie es ebenfalls war, jedoch schenkte sie ihm nun kurz ein ehrliches Lächeln, das nur für ihn bestimmt war, denn das Thema, über das sie sprach, war ernst. Es brachte ihr wohl nichts, weiterhin wegen einer Kleinigkeit zu schmollen, denn damit verdarb sie sich nur selbst die Laune, und sie erkannte nur allzu leicht, dass Ichabod sich nach ein wenig Beistand ihrerseits sehnte.
„Wir wissen, dass es dem Pfad nicht gefällt, dass wir uns in seine Angelegenheiten einmischen. Vielleicht ist es aber auch ein Schwur“, äußerte sie einen anderen Gedanken, denn auch so einer mochte mit Blut besiegelt werden.
„Im letzten Fall könnten wir sogar das Glück haben, den Täter anhand einer selbst zugefügten Verletzung ausfindig zu machen. Wobei es uns wahrscheinlich wenig bringen würde, uns umzuhören“, fügte sie etwas resigniert hinzu. Die Bewohner Ravengros waren wohl eine harte Nuss, denn bis auf Kendra und den Wirt Zokar Elkarid hatten sich bisher alle hier (zumindest alle, mit denen Dana Kontakt gehabt hatte) misstrauisch bis abweisend oder sogar feindselig benommen.
„Doch wenn wir Glück haben, ist der Wirt vom ‚Lachenden Dämon‘ dafür zu haben, ein wenig Klatsch mit uns zu teilen… Was auch immer zutreffen mag“, kam Dana zum Thema zurück,
„die Platzierung an dem Mahnmal ist sicher kein Zufall. Möglicherweise gab es in der Vergangenheit bereits solche Schmierereien hier im Ort. Sicher könnte uns der Sheriff Auskunft geben – es gibt hier doch einen, oder nicht, Kendra? Die alte Amme erwähnte einen Stadtwächter, gesehen hat ihn aber noch keiner von uns, soweit ich weiß“, wandte sich die junge Varisianerin mit fragendem Blick an die Tochter des Professors, bevor sie wieder an die versammelte Runde gerichtet weiterredete. Dafür, dass sie zuvor sehr schweigsam gewesen war, hatte sie nun viel zu sagen.
„Sollte das Zeichen noch da sein, sollten wir ernsthaft in Erwägung ziehen, diesen Vandalismus zu melden und gleichzeitig Informationen zu beschaffen, sonst fällt er am Ende auf uns zurück. Wobei sich das mit dem nächsten Regen wohl selbst erledigen dürfte… Oder es sich vielleicht schon hat, sollte es bereits über Nacht geregnet oder jemand sich um das Zeichen gekümmert haben.“Dana seufzte.
„Es wäre wirklich besser gewesen, wenn Ihr Euch sofort nach dem Entdecken genauer damit befasst hättet. Doch macht Euch keine Vorwürfe, Brann“, bat sie den Söldner, denn auf geschehenen Dingen herumzureiten, machte die jetzige Situation auch nicht besser. Dana wechselte noch einmal einen Blick mit Ichabod, bevor sie ebenfalls auf Gespräche einging, die ihr Mann und sie nicht mitbekommen hatten. Dana verstand Ichabods Andeutung bezüglich Jadars Geheimniskrämerei, jedoch würde das bei Brann vermutlich nicht der Fall sein, weswegen sie präzisierte, was gemeint war:
„Nur wäre es auch mir ein persönlichen Anliegen, Euch darum zu bitten, uns zu berichten, was genau Ihr gestern insbesondere mit Jominda Fallenbridge besprochen habt.“ Schließlich hatte sie das möglicherweise fast das Leben gekostet.
„Jadar zeigte sich bedauerlicherweise sehr verschlossen in dieser Hinsicht. Habt Ihr ihr von der Krypta erzählt? Es wäre sinnvoll, wenn wir genauer abstecken könnten, wer davon wusste, dass wir Interesse dafür gezeigt haben, denn die Untoten haben uns nicht ohne Grund auf dem Friedhof erwartet.“ Bei der Erwähnung der Untoten kam Dana etwas in den Sinn. Nun sprach sie Samuel Pierce an:
„Da fällt mir ein: Man hat Euch noch nicht eingeweiht, nehme ich stark an.“ Sicher war das Gespräch für den Nachzügler etwas verwirrend. Dana beschloss, Klarheit zu schaffen, denn auch wenn Ichabod dies vermutlich nicht gefallen würde, besaß Samuel Pierce als Vertrauter und Erbe des Professors das gleiche Recht wie die anderen Anwesenden, von den Geschehnissen zu erfahren. Unter dem Testament war der Name des Mannes verzeichnet gewesen - wie auch ihr eigener und der Ichabods. Der Professor hatte von ihrer Trennung gewusst, so hatte er in seiner schwungvollen Schrift angegeben, dass ihr Ehemann wohl in Aashügel zu finden und nach ihr selbst wohl in Caliphas bei ihrem Vater zu suchen wäre. Bei diesem hatte sie in der vergangenen Zeit zwar nicht wirklich gelebt, aber der gealterte Händler hatte dem Boten den Weg zu ihr weisen können.
Dana begann zu berichten:
„Wir wissen aus den Aufzeichnungen des Professors, dass er dem Flüsternden Weg, einer Gruppe von Nekromanten, auf der Spur war, die irgendein Interesse am Schreckenfels-Gefängnis hegen. Das ist ihm zum Verhängnis geworden, denn warum sonst fand man ihn kurz nach dem letzten Tagebucheintrag, erschlagen von einem Gargoyle auf? Er wusste, dass er in großer Gefahr war, was aus diesem Eintrag auch ersichtlich ist, weswegen er vorsorglich schon einmal alles dafür vorbereitet hat, dass wir seine Arbeit fortsetzen können. Zumindest ist das meine logische Schlussfolgerung aus den Gegebenheiten, vor die er uns gestellt hat. Offenbar sind wir aber selbst nun bereits ins Visier der Totenbeschwörer geraten.“ Dana behagte dieser Gedanke sichtlich nicht. Auch wenn Viktor ihre Wunden geheilt hatte, überfuhr sie ein Schaudern, als sie an die gestrigen Geschehnisse dachte. Dies war nicht das erste Mal, dass sie mit Wiedergängern zu tun bekommen hatte, jedoch war die Begegnung auf dem Friedhof eindeutig von zu viel Nähe zu diesen Abscheulichkeiten geprägt gewesen – und von zu viel Angst und Schmerz. Sie suchte Ichabods Hand mit der ihren, um Trost und die Geborgenheit seiner Nähe zu finden.
„Lest das Testament, Herr Pierce“, fuhr sie dann fort, bevor ihre Sprechpause zu lang wurde,
„das könnt Ihr unmöglich in so schneller Zeit geschafft haben.[1] Da Ihr Euch entschlossen habt, zu bleiben, sollt Ihr auch alles wissen. Ich fürchte, wir können jede Hilfe gut brauchen.“ Der Ausblick auf die Zukunft sah keinesfalls gut aus. Wenn Jadar Recht hatte und der Pfad plante, den Flüsternden Tyrannen zu erwecken… Sie mochte sich nicht ausmalen, was ein Erfolg dieser mordenden Nekromanten bedeuten würde.
„Ich werde es übernehmen, erneut mit Stadtrat Hearthmount zu sprechen“, bot sie bereitwillig an und war plötzlich wieder in einen gewohnt besonnenen Ton verfallen, nachdem sie zum Ende ihrer letzten Worte hin etwas verbittert geklungen hatte. Aber zumindest ihren auffunkelnden Augen, als sie dessen Namen aussprach, war wohl abzulesen, dass sie eigentlich Groll gegenüber dem Stadtrat verspürte. Sie hatte es nicht positiv aufgenommen, durch dessen Gebrüll verscheucht und der Rathalle verwiesen worden zu sein.
„Es ist gut möglich, dass sein Zorn ein wenig abgekühlt ist, und ich will versuchen zu retten, was ich retten kann. Um Vater Grimburrow sollte sich am besten Viktor allein kümmern“, dachte sie laut,
„– oder vielleicht wollt Ihr ihn begleiten, Kendra? Ihr kennt Euren Priester sicherlich und vermögt, die entstandenen Wogen etwas zu glätten. Doch was die Statue betrifft: Wie gehen wir nun vor? Wollen wir uns erst einmal alle gemeinsam ein Bild machen? Herr Pierce könnte Recht haben, möglicherweise ist es eine Falle, wenn in diesem Fall auch seltsam wäre, warum man nicht bereits gestern Kendra und Brann angegriffen hat.“Dennoch konnten sie es nicht ausschließen, vermutete Dana. Vielleicht hielt sich der Pfad zurück, solange Kendra bei ihnen war. Wer wusste das schon? Bestimmt wäre es einfacher, den Trauergästen die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn sie ohne Begleitung der Professorentochter in Schwierigkeiten gerieten.