Blitz um Blitz zucken hinter dem runden Fenster, und nach einem heftigen Einschlag, der irgendwo unterhalb der Wolken landet und womöglich ein Segelschiff spaltet, genauso mühelos wie das Grau des Himmels, erwacht in Hanajimas Geist eine Erinnerung, wie aus dem Grabe heraufbeschworen durch die düsteren Naturgewalten. Ja, es hat damals genauso gewittert, an dem Tage als...
...sie in graue, formlose Scharfrichtergewänder gekleidet, eine knisternde Fackel in der Hand, die Wendeltreppe des Verlieses herunter stieg, dorthin, wo eine weitere verdammte Seele auf ihrer harrte. Ihre Hand zitterte nicht, als sie mit einem hässlichen scnmiedeeisernen Schlüssel die Kerkertür öffnete, doch Festigkeit und Zuversicht waren genauso weit entfernt wie die Zeiten des Friedens vor beinahe hundert Jahren. Dort, hinter der Tür, in der schäbigen und verschmutzen Kammer, wartete die Delinquentin.
Deren zierlicher, fast dürrer Leib, der von Prellungen übersät und mit einem dreckiggrauen leinenen Hemd bedeckt war, die zerzausten braunen Haare, die angsterfüllten Augen, nichts davon ließ sich mit der Schande in Verbindung bringen, die der zerbrechlichen Gestalt anhaftete. Dennoch stand das Urteil fest, denn die Anklage war schrecklich.
Eine Kindsmörderin.
Die Schwere der Anschuldigung änderte nichts am pochenden Mitleid, das in der Henkerin aufstieg; keine Ermahnung ob der unvermeidlichen Strafe für ruchlose Tötung konnte sie blind machen für das Elend, in dem die zukunftslose Frau ihr kurzes Leben beendet musste. Ja, ihre Tat war grausam gewesen, doch war es nicht ebenso grausam von dem adligen Schönling, sie zu verführen und dann zu verstoßen, ohne ein Kupferstück für einen Brotlaib, doch mit zerbrochenen Träumen und einer wachsenden Bürde im Inneren.
Langsam, wie in Trance schritt die Scharfricherin auf die kauernde, bebende Figur vor ihr - und streckte ihr eine Hand entgegen. "Kommt. Es wird nicht schmerzen. Euer Leid ist bald vorüber," sprach sie so sanft, dass es ihr Amt beinahe verhöhnte, "verzeiht mir."
...
Blitze zerfurchten immer noch den düstergrauen Himmel, wie im Wettstreit mit dem jähzornigen Wind und dem tosenden Regen, als die Henkerin am Fuße des Schafotts stand, auf die leblose Gestalt tief unterhalb des Galgens blickend. Hinter dem Rücken umklammerte sie mit einer Hand einen Dolch, von dem das fallende Wasser alles Blut wusch, als wäre es nie über die Klinge geflossen. Sie hatte die Kindsmörderin nicht lange leiden lassen. Sie hatte ihr die qualvoll langgezogene Urteilsverkündung erspart. Sie hatte sie von der Agonie des Galgentodes erlöst.
Nichtsdestotrotz, ist die wahre Schuld ungesühnt geblieben.
Die Karrn ertappt sich dabei, wie sie sich in den Metallrahmen des Bullauges krallt und wie sich schwere, salzige Tropfen über ihre Wimpern stehlen. Nein, sie wird sich keine Schwäche zulassen, sie hat das Kämpfen noch nicht aufgegeben. Und wenn sie letztendlich gegen sich selbst kämpfen soll.
Mit rascher Bewegung wischt sie sich mit einem Handrücken über die Augen, erreicht mit wenigen Schritten das an der Wand lehnende Schwert und macht sich auf, den Raum zu verlassen. "Ich bin auf Deck, falls ihr mich sucht," erklärt sie ihr Fortgehen und begibt sich zügig ins Freie.