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Autor Thema: Das liederliche Spiel  (Gelesen 87609 mal)

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Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #210 am: 12.04.2011, 15:45:17 »
04.01.1042 - Tag des Takin - Später Vormittag

Qiānbēi Irindiil lächelte sanft, als Hong gil-Dong endlich seine Zelle verließ und ihn begrüßte, wobei der Elb aufstand und die Begrüßungsformel ebenso ausführte, wie der tätowierte Mann sie ausgeführt hatte. "Der Wald wird nicht frei werden. Er ist frei, nur sind es seine Bewohner nicht mehr.", sagte der dunkelhaarige Elb nachsichtig und lächelnd. "Aber jene werden alsbald wieder ihre angestammte Freiheit erringen. Ich kann den exakten Moment nicht voraussagen, aber ich kann sagen, dass das Momentum auf unserer Seite ist." Qiānbēis Augen strahlten eine große Zuversicht aus, die von seinen überzeugten Worten unterstrichen wurden. Seine Haltung war offen. Er setzte sich wieder hin und brachte sich in eine bequeme Position.
"Aber der Phönix wird immer wieder gern den Drachen besuchen, auch wenn dieser in seinem Hort eingesperrt ist." Qiānbēi Irindiil verwies häufig auf den Zustand, dass Hong ein Mensch war und er verband Menschen natürlich häufig mit ihrer eigenen Kultur. Es war aber mitnichten beleidigend gemeint. "Das Volk der Elben kann euch im Moment keine große Hilfe sein, mein werter Hong. Aber wir arbeiten daran." Auch machte der Elb kein Hehl daraus, bei wem seine Sympathien in diesem Raum lagen. Freundlich und aufmunternd lächelte er Hong zu und verfiel in ein kurzes Schweigen.

"Eure Worte sind überzeugend und entsprechen in großen Teil einer festen Überzeugung, die auch mit der Wahrheit häufig zusammentrifft, Xū Laoshi. Aber eure Worte stellen mich vor ein Rätsel. Nicht in ihrer Abstraktheit und Systematik, viel mehr in ihrem ausweichenden Charakter." Der Elb strich sich seine Haare nach hinten und schüttelte seine Ärmel los. "Ich bin keine Stellvertretung für mein Volk. Ich bin nicht der Inbegriff meines Volkes. Mein Volk leidet, weil es seine Bräuche und seine Kultur nicht ablegt. Mein Volk versucht das Leiden zu lernen, doch wie kann man Wesen das Leiden beibringen, ohne dass sich Aufbegehren bildet? Könnt ihr das, Xū Laoshi?" Der Elb schüttelte seine Ärmel nochmal aus und verbarg dann seine Hände wieder in den Ärmeln. "Eure Worte können deswegen nur für einen Menschen gelten, jedoch nie für einen Elben. Ihr plädiert für die Freiheit unter der Kultur, wir kämpfen mit Waffe, Geist, Ablenkung, Illusion und der Macht des Wortes, wir kämpfen passiv und aktiv, für die Freiheit in der Kultur. Ein Elb verlangt zwar die Freiheit seines Volkes, aber dann folgt beinahe gleichauf die persönliche, individuelle Freiheit." Der Elb lächelte wieder sanft, ohne entwaffnend wirken zu wollen. "Zudem haben wir die berechtigte Angst, dass wir vielleicht nicht das Herz der wichtigsten Personen Chuangs erweichen können, weder mit Mitleid, noch mit Ertragen, noch mit Dialog, noch mit Gewalt. Wenn wir ihnen die Grundlage geben, uns zu knechten, werden sie noch schneller mit ihren Knebeln und Stöcken sein! Damit hat Hong Recht. Sieger schreiben die Geschichte und bilden die kulturellen Wahrheiten heraus. Und wenn wir soweit nachgeben, werden wir entwaffnet sein, bevor wir uns noch einmal vernünftig wehren können. Nein, der Moment ist zu günstig, um sich langsam an eine Lösung heranzutasten, in der Hoffnung, dass wir eines Tages einen Kaiser vorfinden, der uns ausreichend gewogen ist und uns in Ruhe lässt. Für solche Illusion dürfen wir nicht Generationen leiden lassen, das ist falsch und ungerecht. Wir vertilgen uns selbst dann." Inzwischen hatte der Elb seine Hände wieder befreit und gestikulierte mit sanften und langsamen Bewegungen, wobei er besonders auf das freiheitsliebende Wesen der Elben eingeht, welches sich seiner Meinung nach kaum mit den gesellschaftlichen Bedürfnissen von Menschen vergleichen lässt.

"Ich mag die Ausnahme meines Volkes sein, denn ich werde effektiv dazu gezwungen, ihre Bräuche zu adaptieren. Man zwängt mich in diese Kleidung, färbt mir die Haare wie ein Alb und gab mir sogar den Namen Qiānbēi. Der Bescheidene. Man verlacht mich und spottet, man spuckt mich an. Ich kenne das Leiden für das eigene Volk, und wenn es mein Martyrium für mein Volk ist, dann ist es in Ordnung. Wenn es mich erhöht, kann ich ein Vorbild sein. Ich darf dabei nur nicht törricht werden. Aber meine Person zählt nicht ausreichend, um sich an meiner Person festzhalten. Anhand meiner Person lässt sich nicht Würde und die Güte meines Volkes abmessen. An mir lassen sich nicht die Sorgen und die Probleme meines Volkes ablesen und an meiner Erscheinung lässt sich nicht das Vorgehen meines Volkes bewerten." Der Elb zeigte mit dem Finger auf Xū Dǎnshí. "Aber was mir wirklich noch immer ein Rätsel ist, liegt in der Frage, warum ihr nicht eure Maßstäbe an euch messt. Lu Chieng und Hong gil-Dong haben das durchklingen lassen und ich habe gefragt, wie ihr euch reformiert habt. Ihr seid nicht wirklich darauf eingegangen. Dabei ist das doch der spannende Part." Der langhaarige Elb lächelte wieder freundlich. "Wenn ihr uns zeigen könnt, wir ihr euch reformiert habt und wie ihr mit eurem Zustand in diesem Kerker eurem Distrikt behilflich seid, mit eurem Darben und eurem bevorstehenden Tod, dann will ich euch Glauben schenken, Xū Laoshi. Dann seid ihr ein wahrhaft großer und edler Lehrer, wenn ihr uns dieses zeigen könnt."
Dem Elb war nicht entgangen, dass Lu Chieng und Hong gil-Dong dem alten Mann unmittelbar widersprochen hatten, nachdem der Elb erwähnt hatte, dass alle Denunzianten Xū Dǎnshís Weisheit folgen würden. Sein Lächeln war dennoch nicht hinterlistig oder süffisant, sondern aufrichtig. Er schien überzeugt davon, dass Xū Dǎnshís Worte sinnvoll waren, aber er wollte sich davon überzeugen, ob der Beamte aus Cui Bao auch hinter seinen Worten stand oder sie nur freilich und wahrlich gut auswendig gelernt hatte. "Diese Situation ist schwer und ein Gradmesser eurer Überzeugung, wie der meinen, werter Xū Laoshi. Am Hof erzählt man sich von den unhehren Angeboten der Generale, dass einer der Denunzianten sich opfern sollte, damit das Kaiserreich wieder regiert werden kann. Nicht nur, dass es ein Zeichen der Schwäche Chuangs ist und zeigt, dass sie Angst vor den Minderheiten in ihrem Reich haben, es ist auch und also ein Manifest dessen, dass man sich auf die Worte, die man in euch verwirklicht sieht, Xū Laoshi, verlassen will. Zeigt mir also, wie man sich reformiert und ihr euch reformiert habt und ich will euren Worten Gefolgschaft leisten."
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #211 am: 15.04.2011, 20:57:55 »
Wenn auch nicht direkt mit lauten Worten, so beteiligt sich Hong mit seinen  Gesichtszügen und leisen Kommentaren dem Gespräch. Die Sehnen bildeten ein eisernes Gesicht bei Dǎnshí's Worten, denn er lehnte sie ab. "Der Sohn will dem Sklaven erzählen, dass sie das gleiche Schicksal unter dem Familienoberhaupt erleiden und daher gleich Widerstehen können." kommentiere er zu sich selbst "Er scheint, wie ein Hund der dem Wolf sagen will, dass die Gefangenschaft ertragbar sei solange man nicht an die Leine genommen wird." Hingegen als Irindiil sprach nickte er zustimmend. "...der Moment ist zu Günstig..." wiederholte er leise Murmelnd die Worte des Elben "vielleicht ... vielleicht. Wenn wir in den Garten kommen...". Der Rest des Satzes verschwand wieder in Hongs Gedanken ... dann können wir etwas ändern. Etwas grosses. Das hat die Erde gesagt.
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #212 am: 17.04.2011, 14:29:54 »
"Nun gut, Qiānbēisan. Vielleicht ist ist der Wunsch der Elfen nach dem, was ihr Freiheit nennt, so groß, dass sie das Leiden ertragen. Es gibt mir zu denken, dass Ihr wohl wisst, dass viele Leben vernichtet und der Wald zerstört wird und dass Ihr sagt, dass diese Schlacht zu späterem Zeitpunkt immer und immer wieder ausgetragen wird. Doch ich sehe, dass Euer Drang groß ist. Ich würde es nur nicht Freiheit nennen, nach dem Ihr dürstet, sondern Stolz. Ich muss Euch sagen, dass ich diesen Weg nicht mittrage, anderseits sehe ich Euch als Elben aber auch nicht anders als zuvor."

Pflichtschuldig machte er sich daran, die Frage des Elben zu beantworten. "Also, Ihr fragt, wie ich mich zu reformieren versuche. Ich sage 'versuche', denn ich bin nicht so vermessen, mich als Vorbild darzustellen. Es ist nämlich bei weitem nicht so, dass ich keine Angst hätte. Es gibt immer schwache Stunden und ich kann nur hoffen, dass mein Wille stark ist. Jedenfalls will ich Euch erklären, worin mein Ansinnen liegt. Doch glaubt nicht, dass Ihr Euch einfach den "ich-bin-inOrdnung-und-du-auch"-Anzug anzieht, wenn es schwierig wird und alle Probleme sind gelöst. Es ist eine Einstellung, die sich nur durch lange Praxis auszahlen wird. Aber auch das ist nur Überzeugung."

"Die Macht des Bösen besteht darin, die Menschen zu entzweien, sie voneinander zu entfremden und schließlich ein Volk gegen das andere zu stellen. Das Universum, die Welt und schließlich unser Leben sind eine Bühne von einem endlosen Wettstreit von Hass und Mitgefühl, also den zerstörerischen und den den schöpferischen Kräften des Lebens. Wenn ich wählen müsste, ich würde mich für das Mitgefühl entscheiden und damit gegen die Impulse, die uns treiben, einander zu entfremden und zu zerstören[1]. Doch die Zerstörungswut hat viele Gesichter, nicht nur die offensichtliche Gewalt. Wir kennen Gewalt, Lügen und Diffarmierungen. Weniger offensichtlich ist, dass der Keim dieser Taten letztendlich all jene bewertenden Gedanken sind, die die Mitmenschen als anders und weniger gut definieren. Ich sprach schon vom Stolz und wenn Hong ein friedliches und gegenseitiges Wohlwollen unter der nominellen Herrschaft des Kaisers als Sklaverei bezeichnet, dann kann ich nur diesen darin erkennen. Es wäre die Bewertung, die Leid verursachte." Er blickte zu Hong und zuckte versöhnlich mit den Schultern. "Entschuldigt bitte, Hongsan, versteht es nicht so, dass ich gegen Euch argumentiere. Ich argumentiere gegen Eure Argumente. Ich hoffe, Ihr seht den Unterschied.", endete vorerst, um die Reaktion der anderen abzuwarten. Außerdem wollte er etwas Zeit gewinnen, um seinen nächsten Punkt zu formulieren, denn es war eines, von etwas überzeugt zu sein, und etwas anderes diese Überzeugung anderen verständlich zu machen.
 1. nach Daisaku Ikeda
« Letzte Änderung: 17.04.2011, 14:41:08 von Xū Dǎnshí »

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #213 am: 18.04.2011, 23:51:08 »
„Dort wo ich herkomme kannte man keine Diebe. Hier habe ich gelernt: Sich gegen Diebe, die Kisten aufbrechen, Taschen durchsuchen, Kasten aufreißen, dadurch zu sichern, dass man Stricke und Seile darum schlingt, Riegel und Schlösser befestigt, das ist's, was die Welt Klugheit nennt. Wenn nun aber ein großer Dieb kommt, so nimmt er den Kasten auf den Rücken, die Kiste unter den Arm, die Tasche über die Schulter und läuft davon, nur besorgt darum, dass auch die Stricke und Schlösser sicher festhalten."[1]entgegnete Hong "Ich glaube nicht, dass euer Weg euch hilft den Frieden vor den Generälen der vier Himmelsrichtungen zu schützen. Zu sehr erinnere ich mich an die Worte des Generals des Südens.[2] Welch ein Juwel habt ihr mit eurer löblichen Einstellung erreicht. Doch wer hindert jetzt den Palast euren Schatz wegzutragen?" Hongs augen fixieren Xū Dǎnshí und er lässt ein paar Momente verstreichen um sie wirken zu lassen.
"Doch dies ist nicht der Punkt, der mich störte. Ihr nennt den Wunsch nach Freiheit Stolz. Wenn ihr Manarn und Raiva am Himmel seht und das Heulen der Wölfe vernehmt. Sagt ihr dann, dies ist die Freude der Wölfe? Ihr trauern? Ihr beten? Ihr seid kein Wolf. Wie könntet ihr wissen was Wölfe brauchen, was sie fühlen?[3] Und so ist es auch, wenn ihr nur Stolz im Wunsch der Freiheit erkennt. Ich bin mir sicher, ihr wart schon mal Stolz, doch konntet ihr jemals die Freiheit schmecken?" Hong zieht hörbar Luft durch die Nase ein und wendet den Blick von Xū ab. Kurz blinzelt er der Zimmerdecke zu und fasst sich wieder, indem er die Zähne aufeinander presst, so dass sich die Sehnen in der Wange abzeichnen.
 1. von Zhuangzi gestohlen
 2. Aber was versuche ich euch zu erzählen, Xū Xiansheng, ihr habt mit überzeugter und doch nicht rücksichtloser Freundlichkeit und Friedfertigkeit eure Provinz zu einem Juwel gemacht, so sagt man. Wäre in einer Welt voller reiner Machtgier und Geltungssucht sowas möglich?
 3. ebenso von Zhuangzi abgewandelt
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #214 am: 19.04.2011, 00:33:29 »
Der alte Mann blieb ungerührt von Hongs erstem Einwand. "Es ist das Juwel selbst, dass sich weigert, weggetragen zu werden - so hoffe ich zumindestens.", entgegnete er schlicht. "Im Übrigen habe ich keine Verwendung für das Wort Freiheit. Denn Freiheit hat keinen Eigenwert und ist nur zu etwas nutze, wenn sie zu etwas gebraucht werden kann. Ich spreche daher nur über die Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen. Und ich muss nicht vorhersehen, welche Bedürnisse es sind, denn die Menschen können für sich sprechen. Da ist es auch nicht relevant, ob ich es bin oder ein gerechter Kaiser, der die Erfüllung dieser Bedürfnisse garantiert. Nennt mich jetzt aber nicht einen Opportunisten, denn das bin ich nicht. Es ist das Grundgefühl des Mitgefühls, dass ich zu verinnerlichen versuche. Ich meine Perspektivenübernahme einerseits und Güte andererseits. Und wenn ich es schaffe, es zu verinnerlichen, dann lebe ich nicht für einen isolierten Vorteil.", erklärte er sich weiter. Danshi hatte das Gefühl, dass seine Zuhörer zunächst nach Lücken in seiner Argumentation suchten, bevor sie die Bedeutung seiner Worte nachfühlten. Er wusste nicht, ob er darüber glücklich sein konnte. "Einerseits ist die Überzeugung auch eine Sache des Verstandes. Andererseits gründen sich meine Ansichten aber letztenendes auf grundlegende Bedürfnisse nach Überleben und Liebe und diese sind vernunftmässig nicht zu begründen.", ging es ihm durch den Kopf.
« Letzte Änderung: 19.04.2011, 00:41:44 von Xū Dǎnshí »

Mako Jinsei

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Das liederliche Spiel
« Antwort #215 am: 20.04.2011, 11:46:23 »
Während der Diskussion des Elben und seiner Mitgefangenen ist Mako still aus seiner Zelle getreten. Er verbeugte sich vor dem Besucher, grüßte aber nicht, da er niemenden in seiner Rede unterbrechen wollte.
Dann ging er weiter zu der Pflanze, die ein Unbekannter des nachts in ihrem Gefängnis gelassen hatte. Schamvoll musste er sich eingestehen, dass er durch die jüngsten Besucher, insbesondere der Erde, den ihnen anvertrauten Schützling völlig vergessen hatte. Da die Diskussion inzwischen über alles hinausging, was Mako jemals an politischen Interesse geheuchelt hatte, entschied er sich um die Päonie zu kümmern.

Sachte trug er die Vase in das Waschzimmer und schöpfte Wasser aus dem Waschzuber auf die Pflanze.
"Bist du noch zu retten, meine kleine Feundin?", flüsterte er ihr zu. Er hatte einmal gehört, dass Pflanzen besser wachsen, wenn man mit ihnen spricht. Nun kannte sich der Barde nicht sehr gut mit Pflanzen aus, dafür umso besser mit sprechen. Er wusste, das seine Stimme Mut und Sicherheit bei seinen Zuhörern erzeugte. Bei dieser Pflanze war es auf jeden Fall einen Versuch wert: "Junge Damen benötigen Aufmerksamkeit, wer wüsste das besser als ich? Also vergib mir bitte, dass ich dich vernachlässigte und strafe mich nicht durch diesen traurigen Anblick, den du mir bietest. Du wirst erstrahlen in neuem Glanz, deine Blütenblätter werden leuchten, du wirst wachsen, dass du unseren ganzen armseligen Kerker ausfüllst und unsere Herzen zum erweichen bringst. In wenigen Tagen schon wirst du wieder das Licht der Sonne erblicken, viel mehr als hier unten werden sich an deinem wundervollen Anblick erfreuen.
Wenn die Bienen wieder summen wirst du deinen Samen weit tragen und deine Kinder werden zahlreich sein. Das ganze Land wird voll sein von ihnen und alle Bewohner des Reiches können in ihnen deine Schönheit erkennen. Also bitte, halte noch eine Weile durch und sei es nur mir zuliebe. Nur, damit ich nicht den letzten Lichtblick verliere.
Du sollst leben!"
[1]
Ein letztes Mal schöpfte er Wasser in die Vase, dann ließ er ab von ihr und beobachtete, ob seine Worte Wirkung zeigten.
 1. Auftreten: 19
"An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter." -Konfuzius

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #216 am: 26.04.2011, 13:34:06 »
04.01.1042 - Tag des Takin - Später Vormittag

Qiānbēi Irindiil hatte vielfach gelächelt und Hong gil-Dong immer wieder zugestimmt mit einem kräftigen Nicken und jenen Handgesten, welche dem elbischen Adel so eigen war, auch wenn kaum jemand sie wirklich zu deuten wusste. Das erste Mal hatte er sich mit seinen Antworten zurückgehalten und die Äußerungen gesammelt, immer wieder kurz angesetzt und dann doch nichts gesagt. Als Xū Dǎnshí das Stichwort der Perspektivenübernahme nennt, entschließt sich der nur augenscheinlich angepasste Elb eine umfassende Antwort zu geben. Bewusst baute er auf Hongs Beispiel der Wölfe auf.
"Und dass ihr den Menschen als Statthalter für eure Argumentation nutzt, Xū Laoshi, ist das große Problem. Ihr geht von der Erfüllung der Grundbedürfnisse eines Menschen aus. Diese Grundbedürfnisse, so schätze ich, werden in erster Linie Dinge sein, welche die Philosophen des Westen transzendentale Grundrechte oder Grundgüter nennen. Je nach Streitpunkte sind dies oftmals natürlich an sich die Existenzrechte, also das Recht auf Leben, auf Gesundheit und auf Reinheit. Die Subsistenzrechte, also Recht auf den Umgang mit anderen Wesen, Mündigkeit und auch Platzierung in unser jeweiligen Umwelt. Die Insistenzrechte, also das Beharren auf Eigentum, Wehrhaftigkeit und Befriedung. Es gibt unter euch Menschen, noch überhaupt viele Dinge, auf die ihr beharren wollt. Und einer der wichtigsten Grundpfeiler eurer Kulturen ist, dass die sich mit den Kulturen Identifizierenden fordern, dass ihre Ansprüche universale, also orts-, kultur- und zeitenübergreifende, Geltung entfalten. Und damit umfasst ihr in eurer Naivität alles, egal wie fremd oder andersartig es sein mag. Die Art des Vortrages macht natürlich durchaus Unterschiede aus, denn manche fordern das mit Waffengewalt und oktroyierten Verfassungen ein, andere mit vorgeheuchelter oder ernst gemeinter Sanftmut, manche fordern es mit der Körperlichkeit der Emotio ein, andere mit dem geistigen Schild der Ratio. Aber wir Elben können getrost darauf verweisen, dass ihr Menschen niemals anders gewesen seid, also so: nämlich in eurem Wesen totalitär. Euch und dem Fremden gegenüber. Ihr haltet, was anders ist, für barbarisch, auch wenn ihr unterschiedliche Worte dafür findet und versucht das Fremde darüber zu belehren, warum eure Art der Haltung richtig zu sein hat. Und dadurch, dass ihr ewiglich belehrt, Xū Laoshi, zeigt sich nicht nur eurer Totalitarismus, sondern auch eure mangelnde Sensibilität, was die Grundbedürfnisse eines Elben angeht. Und sicher mag bei manchem die Freiheit Stolz sein, aber für die Allgemeinheit des das Volk, welchem ich angehöre, ist sie ein so hohes Grundbedürfnisse, wie der Schlaf, das Wasserlassen, das Fressen, das Fortpflanzen und die Möglichkeit, uns künstlerisch auszudrücken."
Der Elb unterstrich seine Worte wieder mit den Handgesten und verneigte sich. "Das ist euch nicht übel zu nehmen, weil ich genauso immer durch das Kaleidoskop meiner Kultur schaue. Aber ich verschließe mich nicht vor den grundsätzlichen Unterschieden zwischen Mensch und Elb, zwischen Zwerg und Ork und welche Möglichkeiten des Vergleiches es noch gibt."

Mako, der mit einem huldvollen Beugen des elbischen Oberkörpers von Qiānbēi Irindiil begrüßt wurde, welcher aber nicht weiter auf den Barden einging, erreichte die Pflanze und trug sie in den Waschraum, was der Elb mit einigem, durchaus sichtbarem Argwohn betrachtete. Es schien, als würde er etwas sagen wollen, unterließ es jedoch, weil er in einer laufenden Unterredung war.
Der Barde versuchte es mit der Fähigkeit des gründen Daumens, doch die Päonie zeigte sich unbeeindruckt. Wahrscheinlich dauerte es etwas, bis sie sich erholen konnte. Und hoffentlich hatte Mako der Pflanze nicht so viel Wasser gegeben. Vielleicht war es so wie mit einem Hungernden oder einem Durstenden? Wenn man diesem nach zu langer Zeit der Abstinenz zu viel gab, überlastete dies seinen Körper und er konnte sogar daran sterben. War dies bei einer Päonie ähnlich? Auf jeden Fall würde es zumindest etwas dauern, bis Mako Jinsei erkennen könnte, ob seine aufbauenden Worte und das Wasser noch reichten, um die zarte Pflanze zu retten.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #217 am: 27.04.2011, 14:39:23 »
Danshi verzog missmutig das Gesicht auf die Vorwürfe des Elben. Es war ihm, als hätte der Elb ihm nicht zugehört, als er von der Perspektivenübernahme sprach. "Cave, caro amico![1] Ihr legt mir Worte in den Mund, nur weil ich ein Mensch bin, und verurteilt mich daraufhin.", gab Danshi beschwichtigend zurück. Der Elb hatte eine unscheinbare Form der Gewalt angewendet, gemäß der Definition Danshis. Um ihm dies vor Augen zu führen, beschloss Danshi, seinen Fokus von seinem Äußeren abzulenken. Er legte Zeige- und Mittelfinger an die Stirn und murmelte eine einzelne drakonische Silbe. Seine Gestalt schien sich grün zu verfärben, Haare und Bart bildeten sich zurück und anstelle wuchsen ihm Schuppen. Sein Kiefer sprang hervor und die Stirn zurück. Schließlich hatte sich der fragile Körper des Greisen in den eines Echsenmenschen verwandelt[2]. Noch immer im Lotussitz fuhr der Echsenmensch fort. Allein sein Stimme war nun schnaubend und kehlig. "Ein billiger Zaubertrick, wie ich eingestehen muss. Doch zeigt schon dies, dass der äußere Anschein des öfteren trügerisch ist. Also verurteilt mich bitte nicht, nur weil ich ihre Züge trage. Sind unsere Ziele nicht die gleichen? Und selbst, wenn nicht, was hält Euch davon ab, mir Eure Bedürfnisse zu erklären? Aber versteckt Euch nicht hinter einem so großen Wort, wie Freiheit. Ich wiederhole, Freiheit hat keinen Selbstzweck. Ich will es also ganz genau wissen.", bat er freundlich[3].
 1. Ecclesisch: Gib Acht, teurer Freund!
 2. Alter Self in einen Echsenmenschen
 3. Diplomatie um den Elben zu beruhigen: 17
« Letzte Änderung: 27.04.2011, 18:15:38 von Xū Dǎnshí »

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #218 am: 27.04.2011, 22:50:58 »
Hong sprang auf in eine gebückte sprungbereite Position. "Wandler" knurrte er Xū Dǎnshí an. Perspektivenübernahme. erinnerte Hong sich zynisch an an das Prinzip des alten.
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Lu Chieng

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Das liederliche Spiel
« Antwort #219 am: 29.04.2011, 09:47:52 »
Lu Chiengs Herzschlag verschnellerte sich ruckartig, als der alte Mann sich plötzlich in einen Echsenmenschen verwandelte. Äußerlich war ihm nichts anzumerken, einigen mochte auffallen, dass er zwei, drei mal tief durchatmete um seinen Puls wieder unter Kontrolle zu kriegen.

"Nicht das euer Wortgefecht nicht durchaus erleuchtend wäre und ich möchte auch nicht unverfroren wirken doch wisst was wisst ihr über den Tod des Kaisers und wie weit hat das Wort von seinem Tod in Chuang und bei seinen Nachbarn die Runde gemacht?."
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #220 am: 30.04.2011, 11:53:51 »
Danshi war etwas überrascht von der Reaktion Hongs. Sicherlich war Magie etwas seltenes und zudem verpöntes, doch ein Mann seines Gleichen müsste damit in gewisser Weise vertraut sein. Und das war er offensichtlich auch, denn er schien aggressiv zu werden. War er womöglich von Gestaltwandlern einmal hintergangen worden?

Das Echsenwesen drehte den Kopf zu Hong, ein wahrlich bizarrer Anblick, ein solches Wesen in so gesitteter Weise zu erleben. "beruhigt Euch, Hongsan. Wir können das später ausdiskutieren. Doch nun ist unsere Zeit knapp und teuer.", wies er ihn an. Ihm war nicht entgangen, dass Hong wie ein Raubtier auf seine Beute lauerte.. "Wenn er nicht gar selbst die Gestalt wechseln kann...", resümierte er.
« Letzte Änderung: 30.04.2011, 11:54:39 von Xū Dǎnshí »

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #221 am: 30.04.2011, 13:22:27 »
04.01.1042 - Tag des Takin - Später Vormittag

Der Elb blieb sitzen, als Xū Dǎnshí seine Gestalt änderte, doch er sein Blick verdunkelte sich deutlich. "Ketten. Die Magie hält die mächtigsten Ketten.", sagte er knapp, fast zischend, nicht weiter erklärend, was er damit wohl meinen könnte, auch wenn es wohl er meinte, dass die Magie andere in Ketten werfe. Sein Gesicht blieb ernst und dennoch ermahnte sich wohl innerlich zur Ruhe, denn er beantwortete die Frage des alten Mannes.
"Ich käme nicht auf die Idee, euch Worte in den Mund zu legen. Ich bin davon ausgegangen, was ihr gesagt habt, Xū Laoshi. Eure kleine...Vorführung unterstreicht dies doch nur." Der Elb strich sich die schwarzgefärbten Haare aus dem Gesicht, welche sich Sekunden vorher ihren Weg dorthin gebahnt hatten, da der Elb eine kleines Stück zurückgeschreckt war, als Xū Dǎnshí sich verwandelt hatte. Seine die Phönixe darstellenden Hände verbarg er danach wieder, unterstrich erstmals nicht seine Worte mit formvollendeten Gesten, welche er bestimmt über Jahrhunderte eingeübt hatte. "Menschen und Elben sind unterschiedlich. Denn nur, weil ihr beweist, dass ihr die Maske einer Echse, eines Menschen oder was auch immer tragen könnt, was auch immer ihr nun in Wirklichkeit sein mögt, heißt es nicht, dass alle gleich sind. Dass ich nach den Sitten der Menschen Chuangs leben muss, macht mich noch zu keinem. Dass ihr glaubt, dass ihr Elben und Menschen vergleichen könnt oder gar jede Form annehmen könnt, macht euch noch nicht zu allem. Ihr bleibt, was ihr eigentlich seid." Der Elb atmete tief ein. "Erziehung und dergleichen mag eine Rolle spielen, gerade wenn es um Kultur geht. Aber ich gebe zu Bedenken: nichtmenschliche Humanoide eignen sich nicht so zur Zucht, wie Wildschweine, Wölfe oder Wildpferde."

Qiānbēi Irindiil behielt den alten Mann genau im Blick. Achtete jetzt auf jede noch zu kleine Geste, sodass sich dessen Verhalten kaum von jenem unterscheiden mochte, welches Hong gil-Dong an den Tag legte, nur dass der Elb dabei saß. Aber seine Haltung war nicht sehr bequem und abwehrend. "Freiheit hat einen Zweck für die Elben, ob sie einen Selbstzweck hat ist unerheblich.", sagte der weißgekleidete Mann nach einer Weile, scheinbar hatte er abgewägt, ob er trotz der magischen Befähigung Xū Dǎnshís weiter sprechen sollte. "Freiheit ist nur ein großes Wort, wenn ihr alles, was eurem freien Tun entspringt, darunter unterordnet. Aber ich betone nochmals, dass es nicht von Bedeutung ist, zu erörtern, was meine Bedürfnisse sind. Ich bin hier, um über mein Volk zu sprechen und auch für dieses ist Freiheit ein Zweck. Wenn das tiefste Bedürfnis eures Volkes, damit es seine Würde und seine Kultur erhalten kann, Wenn ich Freiheit sage, dann meint dies, dass das Volk nach Autarkie und Autonomie strebt, so wie jeder unschuldig Gefangene, so er bei Verstand ist, auf seine Freilassung hofft." Er blickt Xū Dǎnshí fast etwas verächtlich an. "Aber von dieser Freiheit träumen nicht nur Unschuldige. Und dennoch, diese Freiheit ermöglicht es uns erst wieder unsere Kultur zu rehabilitieren, wieder die Künste zu fördern und für uns selbst zu leben, ohne dass ein Kaiserhof jedem Einzelnen diktiert, was er zu tun oder zu lassen hat, so sehr es auch gegen seine Natur sein mag. Mein Volk braucht keine Anleitung, wie es zu essen, wie es sich zu kleiden hat, wann es den Kaiser zu verehren hat und wann es das Werk auf dem Feld beginnt, wann es sich zu Ruhe begibt, welche Götzen oder Götter es anbetet. Auch wir haben Regeln des Zusammenlebens, aber wir schnüren uns nicht in die Gleichheit, denn Gleichheit ist furchtbar. Und dass ist das, was euer Hof will. Er will uns zu Chuangschen Menschen machen. Wir sind jedoch keine Menschen, wir sind Elben!"

Qiānbēi Irindiil blickte zu Lu Chieng, aber nur ganz kurz, dann behielt er wieder den alten Beamten im Auge. "Ich weiß nur wenig: eben das, was man sich erzählt. Einer von euch habe den Kaiser ermordet, weshalb ich euch dazu im Namen meines Volkes gedankt habe. Wie weit es den Hof verlassen hat, kann ich in seiner Gänze nicht einschätzen. Eigentlich sollte es noch nicht so bekannt sein, es sind erst etwas mehr als vier Tage seit seinem Tod vergangen. Meine Boten werden erst am morgigen Tag den Norden erreichen, wenn sie gut durchgekommen sind, wenn das Wetter und die Witterung ungünstig ist, werden sie erst in drei oder vier Tagen dort eintreffen. Aber es gibt auch Abgeordnete der anderen Völker hier, die ihre Herren, Meister oder ihr Volk darüber informieren, um sie vorzubereiten. Das dürfte für die Orks, wie für die Zwerge gelten. Vielleicht auch für jene Höflinge, die selbst einen Putsch vorbereitet haben. Usurpatoren erheben sich allenthalben seit geraumer Zeit, der Tod des Kaisers wird auch die feigesten Aufrührer zum Handeln zwingen und in diesem Chaos kann das Volk der Elben seine Freiheit wiederherstellen."
Der Elb lächelte das erste Mal wieder sanft.
"Obgleich die Weisen des Hofes natürlich gleich Gegeninformationen streuen werden, dass der Kaiser hier und dort gesehen wurde. Aber es wird niemand glauben, weil der Kaiser sich vor Jahren schon zurückgezogen hat. Sie werden eher an den Tod glauben und sich mit jedem Tag fragen, warum es keinen Thronfolger gibt. Und eure Uneinigkeit ist der Schlüssel dazu. Erst, wenn man einen Schuldigen hat, kann der künftige Thronfolger seinen Posten legitimieren."
Der Elb lächelte jetzt schon fast neckisch, als würde er sich über den Untergang des Reiches zutiefst freuen.
"Das ist der besondere Clou an der Situation. Da der Kaiser seit Jahren im Palast festhängt, können nur bestimmte Personen zu ihm vor, weshalb seine Söhne ebenso in Mordverdacht stehen können, wie jeder andere des Hofes und ihr natürlich. Und da die Usurpatoren und Feinde des Hofes genau in diese Kerbe schlagen werden, muss ein potentieller Nachfolger einen Mörder glaubhaft präsentieren können, damit der Thronfolger offiziell nicht durch Verrat auf den Posten gekommen ist, denn dann werden noch mehr Distrikte des Reiches abtrünnig werden. Das Land bietet so viele Querelen, Probleme, Krankheiten, Aufstände und Kriegsschauplätze, dass ihr die einzige Chance des Hofes seid, sich zu rehabilitieren und das Land insofern zu beruhigen, dass der neue Kaiser sich den anderen Problemen danach Stück für Stück widmen kann. Deswegen wahrscheinlich die äußerst kurze Zeitspanne, die man euch lässt, den Täter unter euch zu entlarven. Und wahrscheinlich ist sie gleichzeitig so lang, damit Shǎzi genügend Zeit hat, um eine Verschwörung glaubhaft werden zu lassen, die es ermöglicht, euch alle zu hängen, sollte sich der Täter nicht finden."
Der Elb schien einen enormen Respekt vor dem Hofnarren zu haben, denn seine Worte klingen anerkennend und ein bisschen furchtsam zugleich.
"Deswegen muss es schnell geschehen, dass mein Volk gewarnt wird. Aber dennoch habt ihr, ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder nicht, genügend Vorarbeit geleistet, damit alle von Chuang Unterdrückten sich zu befreien versuchen können. Dafür, das betone ich nochmals, gebührt euch der größtmögliche Dank!"
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #222 am: 30.04.2011, 16:36:59 »
Das Echsenwesen schüttelte enttäuscht oder gar resigniert den Kopf. "Ich bin sehr enttäuscht, denn Ihr sprecht mit mir wie mit einem Vertreter des Kaiserhofs. Allerdings, ich mache mich der celestischen Ordnung nicht mehr Untertan und ich bin schon lange kein Verteidiger mehr der chuangschen Kultur. Das ist der Grund, warum ich im Kerker sitze und nicht Ihr.", sprach die Echse mit geschlossenen Augenliedern.

"Ich kann zudem nicht erkennen, dass Ihr meine Frage beantwortet habt. Euer Freiheitsbegriff ist nur darüber definiert, dass Ihr Euch vom Feind freimachen wollt. Doch ich glaube nicht, dass Euer Volk jemals in Frieden leben wird, solange Ihr Euch nicht den Dorn der gewaltvollen Separation aus Eurem Fleisch zieht. Kennt Ihr die Parabel von der Farm der Tiere[1]? Ich meine, wenn es kein einendes Feindbild mehr gibt, welche Riege in Eurer Heimat wird dann tonangebend in der Definition von 'Freiheit' sein?" Sie hob die eine und die andere Klaue, um den Unterschied durch ihre Gestik zu unterstreichen. "Oder andererseits, tendiert Ihr zur Gewalt der Masse, dem sogenannten Utilitarismus, wenn die Mehrheit entscheidet, wie der einzelne zu sein hat? In jedem Fall, Ihr tauscht eine gewaltsame Kultur gegen eine andere, wenn Ihr nicht die Sprache von Gleichheit sprecht.", führte die Echse weiter aus. Sie fasste sich an die Stirn murmelte wieder eine drakonische Silbe und ließ damit den zauber fallen. Vor Ihnen saß wieder der alte Mann, dem eine einzelne Träne im Augenwinkel funkelte. "Zumindest glaube ich, dass dies passieren würde, würde sich ein Geschlecht von Menschen separieren."
 1. George Orwell - Farm der Tiere
« Letzte Änderung: 30.04.2011, 17:43:57 von Xū Dǎnshí »

Menthir

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« Antwort #223 am: 30.04.2011, 18:49:16 »
04.01.1042 - Tag des Takin - Später Vormittag

Der Elb begann zu lachen. "Ist es nicht eine komödiantische Tragik, Xū Laoshi? Ihr sprecht mit mir nach eurem Bilde und verurteilt, dass ich mit euch nach meinem spreche? Ihr verallgemeinert mich anhand meines Volkes und anhand meiner Wenigkeit mein Volk und seid enttäuscht darüber, dass ich euch, nach euren Worten, eurer Kultur zuordne, ob ihr sie nun unterstützt oder nicht. Es deucht mir, dass dies nicht die ideale Ausgangsposition für ein Gespräch ist, wenn wir uns darüber wundern, dass wir unterschiedliche Ansichten der Kultur haben, beide dabei darauf beharren, den anderen mit unsere Sicht subtil belehren zu wollen und gleichzeitig erzürnt darüber sind, dass die feinen Unterschiede unserer Art nicht vollends anerkannt werden." Qiānbēi Irindiil lächelte sanftmütig und blickte Xū Dǎnshí an, auch wieder mit etwas mehr Wohlsein, da dieser seine eigentliche Form wieder angenommen hatte, welche dem Elb deutlicher vertrauter vorkam.
"Ich habe eure Frage insofern beantwortet, dass meine Bedürfnisse nicht von Belang sind für meinen Aufenthalt in eurer Zelle. Meine eigene Identität ist, obgleich ich auch für die Individualisten meines Volkes spreche, nicht von Belang. Es sei denn, ihr glaubt allen Ernstes, dass die Individualisierung einer Person davon abhängig ist, dass sie sich in allen ihren Eigenarten eine eigene Nische zu suchen hat. Ich spreche über mein Volk, ich bin und bleibe unerheblich." Der Elb zeigte wieder die Phönixhände und ließ sie noch oben steigen.
"Mein Freiheitsbegriff ist nicht nur darüber existent, uns vom Feinde freimachen zu wollen. Das seht ihr nur so, weil ich es in den Vordergrund gestellt habe. Eine einzelne Aussage kann jedoch nicht die Bandbreite der Freiheit des elbischen Volkes zum Ausdruck bringen. Aber die Freiheit, die mein Volk im Moment benötigt, ist Autarkie und Autonomie. Das ist ein konkreter Fall. Wie die Freiheit der Gesamtheit und des Einzelnen dann angeht, regelt grundsätzlich die elbische Tradition. Die Art des Umganges der potentiellen Obrigkeit mit der ihr untergeordneten Masse von Elben trifft der Ausdruck Laissez-faire[1]." Der Elb deutet eine Verneigung an. "Erst wenn das Handeln des Einzelnen die anderen Elben und Freunde der Elben, ob Mensch, Zwerg oder Gnom, gefährdet oder einschränkt, handelt die Obrigkeit als Mediator oder in ernsten Fällen als Richter und Strafinstanz. Der Individualismus und die damit verbundene persönliche Freiheit spielt eine enorm wichtige Rolle." Er verbarg die Hände mit einer schnellen Bewegung wieder in seinen Ärmeln. "Und somit mag es sein, dass unsere Art des Miteinanderumgehens viele Züge des Utilitarismus tragen mag, auch wenn dieser mitnichten radikal ist. Unsere Zusammengehörigkeit ist damit sicherlich zweckgebunden und traditionsgebunden, aber nicht unser Feindbild eint uns. Unsere Geschichte, unsere Kultur und unser Blut tut dies." Qiānbēi Irindiil zuckte mit den Schultern.
"Wenn ihr dies als eine gewaltsame Kultur betrachtet, dann tauschen wir tatsächlich eine gewaltsame Kultur gegen eine andere aus. Aber ich glaube kaum, dass eine friedfertige Kultur dann für uns Elben gemacht sein kann. Wir verachten nichts mehr als Gleichheit, denn Gleichheit ist Totalitarismus, niemals Frieden. Aber ihr könnt niemals alle gleich machen. Wenn ein Mensch geistig oder körperlich behindert geboren ist, hat er im täglichen Leben weniger Chancen als der gesunde Mensch, wenn ihr eine formale Gleichheit habt. Wenn er in allen Belangen als gleichwertig anerkannt wird, muss er scheitern aufgrund seiner Behinderung. Diese Art von Gleichheit, die ihr beschreibt, als Friedensfaktor müsste also in der Lage sein, den Behinderten so zu fördern, dass er gesellschaftlich dieselbe Rolle wie der Gesunde spielen kann. Ein Gleichgewicht entsteht also niemals durch Stillstand, sondern durch Ausgleich, denn die Welt und ihre Völker und Kulturen sind dynamisch." Der Elb zuckte nochmals mit den Schultern.
"Aber ich würde mir und meinem Volk nicht anmaßen, beurteilen zu können, wie jeder zu fördern ist, damit eine soziale Gerechtigkeit[2] und somit Frieden entstehen kann."
 1. Laissez-faire
 2. Soziale Gerechtigkeit
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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« Antwort #224 am: 01.05.2011, 10:52:35 »
"Gut...", sagte der alte Mann und deutete ein Nicken als, als wollte er zeigen, dass sich geduldiges Abwarten eben doch auszahlte, "... und danke, dass Ihr mich nun über Eure Gesellschaft aufgeklärt habt. Ich andererseits habe ich bis jetzt nicht dargelegt, welche Vorstellung von einem friedfertigen Zusammenleben ich habe[1], da ich Euch meine Ansicht nicht aufzwingen wollte und ich Euch selbst zu Antworten kommen lassen wollte. Das Gespräch verlief bis jetzt ungünstig, da ich nicht wusste, dass unsere Vorstellungen bereits so nahe bei einander liegen und ihr mich, so schien mir, für einen Vertreter einer gleichmachenden menschlichen Kultur gesehen habt. Nun, ich habe auch Worte gewählt, die Ihr aus Eurer Situation heraus missverstehen musstet, muss ich jetzt zugeben. Ich bedaure die Schwierigkeiten, doch nun können wir beginnen, zu sprechen.", erklärte er zufrieden, doch rieb sich mit der Rechten die Brust. Seine Stimme war etwas brüchig geworden, seitdem er sich in seine wahre Gestalt zurückverwandelt hatte. Er fühlte sich ausgelaugt und entkräftigt und wusste, dass er bald wieder vom Husten geschüttelt wurde, würde das Gespräch noch lange andauern.

Er überlegte einige Momente, denn er wollte nun die richtigen Worte wählen. "Es ist schwer, Euch angesichts der kurzen Zeit zu erklären, was ich als richtig empfinde, insbesondere da ich es noch nie systematisch dargelegt habe.", entschuldigte er sich mit einem Lächeln. Doch er fuhr sogleich fort: "Es ist meine Überzeugung und Grundprämisse, dass jede Wesenheit eine Veranlagung in sich hat, die sie befähigt, sich in natürlicher Weise harmonisch und friedlich in seine Lebensumwelt einzupassen. Nennt es Instinkt, Wu Wei, göttliche Eingebung oder Buddhanatur oder wie Ihr wollt, denn das sind nur Begrifflichkeiten. Diese innere Wesenheit befähigt uns, unsere eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sie im Einklang mit anderen und der Natur zu erfüllen[2]. Wir besitzen alle diese Wesenheit und sogar ähnliche Bedürfnisse, nur in unterschiedlicher Aussprägung, das meine ich mit Gleichheit. Natürlich unterscheiden sich die Individuen darin, welche Bedürfnisse sie in welcher Aussprägung zu welchem Zeitpunkt haben. Doch im Grunde haben wir alle das Bedürfnis nach Lebenserhaltung, nach Gemeinschaft und Familie und uns selbst und andere zu erfreuen. Ja, ich glaube auch, dass wir andere brauchen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, und unsererseits das Bedürfnis haben, das Leben anderer erfüllender zu machen[3]. Doch jeder nach seinen Fähigkeiten und jeder nach seinen Bedürfnissen![4] Unsere Natur verschafft uns also die Überzeugung, dass jedes Wesen willkommen ist und gebraucht wird. Respekt vor anderen Kulturen und Gewaltfreiheit sind nur Konsequenzen daraus."

Danshi atmete kurz durch. Das Sprechen bereitete ihm bereits gewisse Mühe. "Um es in wenige Worte zu fassen: Wir können auf diese Natur hören oder sie kulturell überformen. Wenn wir den Kontakt zu unserer Natur verlieren, haften wir an und verfallen in Gewalt. Ein weiser Mann sagte einmal, Sünde sei, die Menschen wie Dinge zu behandeln, sich selbst eingeschlossen[5]. Dies ist, was die chaungsche Kultur mit den Humanoiden und der Erde macht. Ich habe ebenfalls ein gründliches Misstrauen gegenüber der chuangschen Kultur, Elb Qiānbēi Irindiil, denn sie hat uns Menschen verdorben[6]. Wir hören die Stimme unserer Natur nicht mehr. Wir müssen uns innerlich reformieren.", endete er.Sein gestischer Ausdruck war, entgegen dem Elben, schnörkelos und pragmatisch, wie es seine Art war. Danshi wollte durch Argumente überzeugen und nicht durch Auftreten, darum gestand er auch Schwächen und Unsicherheiten ein.

"Besser ich sage ihm nicht, dass ich begonnen habe, die Dinge in dieser Weise zu betrachten, als ich in Cui Bao halb-verwilderte Hunde beobachtete...", dachte Danshi und lächelte verschmitzt.
 1. tatsächlich nicht!
 2. Das Kontinuum-Konzept von jean Lidloff
 3. Grundprämisse der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg
 4. Natürlich weiß ich woher dieser Ausspruch stammt. Doch will ich ihn ideologisch unbelastet und nur in seiner Wortbedeutung verwenden, weil er knapp und präzisse ist!
 5. And sin, young man, is when you treat people like things, including yourself. That's what sin is." - Granny Weatherwax in Carpe Jugulum (Terry Pratchett)
 6. Diesen gedanken hatte Danshi schon einmal im Pfirsichgarten ausgedrückt.
« Letzte Änderung: 01.05.2011, 11:57:34 von Xū Dǎnshí »

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