04.01.1042 - Tag des Takin - Später Vormittag
Der Elb blieb sitzen, als Xū Dǎnshí seine Gestalt änderte, doch er sein Blick verdunkelte sich deutlich. "Ketten. Die Magie hält die mächtigsten Ketten.", sagte er knapp, fast zischend, nicht weiter erklärend, was er damit wohl meinen könnte, auch wenn es wohl er meinte, dass die Magie andere in Ketten werfe. Sein Gesicht blieb ernst und dennoch ermahnte sich wohl innerlich zur Ruhe, denn er beantwortete die Frage des alten Mannes.
"Ich käme nicht auf die Idee, euch Worte in den Mund zu legen. Ich bin davon ausgegangen, was ihr gesagt habt, Xū Laoshi. Eure kleine...Vorführung unterstreicht dies doch nur." Der Elb strich sich die schwarzgefärbten Haare aus dem Gesicht, welche sich Sekunden vorher ihren Weg dorthin gebahnt hatten, da der Elb eine kleines Stück zurückgeschreckt war, als Xū Dǎnshí sich verwandelt hatte. Seine die Phönixe darstellenden Hände verbarg er danach wieder, unterstrich erstmals nicht seine Worte mit formvollendeten Gesten, welche er bestimmt über Jahrhunderte eingeübt hatte. "Menschen und Elben sind unterschiedlich. Denn nur, weil ihr beweist, dass ihr die Maske einer Echse, eines Menschen oder was auch immer tragen könnt, was auch immer ihr nun in Wirklichkeit sein mögt, heißt es nicht, dass alle gleich sind. Dass ich nach den Sitten der Menschen Chuangs leben muss, macht mich noch zu keinem. Dass ihr glaubt, dass ihr Elben und Menschen vergleichen könnt oder gar jede Form annehmen könnt, macht euch noch nicht zu allem. Ihr bleibt, was ihr eigentlich seid." Der Elb atmete tief ein. "Erziehung und dergleichen mag eine Rolle spielen, gerade wenn es um Kultur geht. Aber ich gebe zu Bedenken: nichtmenschliche Humanoide eignen sich nicht so zur Zucht, wie Wildschweine, Wölfe oder Wildpferde."
Qiānbēi Irindiil behielt den alten Mann genau im Blick. Achtete jetzt auf jede noch zu kleine Geste, sodass sich dessen Verhalten kaum von jenem unterscheiden mochte, welches Hong gil-Dong an den Tag legte, nur dass der Elb dabei saß. Aber seine Haltung war nicht sehr bequem und abwehrend. "Freiheit hat einen Zweck für die Elben, ob sie einen Selbstzweck hat ist unerheblich.", sagte der weißgekleidete Mann nach einer Weile, scheinbar hatte er abgewägt, ob er trotz der magischen Befähigung Xū Dǎnshís weiter sprechen sollte. "Freiheit ist nur ein großes Wort, wenn ihr alles, was eurem freien Tun entspringt, darunter unterordnet. Aber ich betone nochmals, dass es nicht von Bedeutung ist, zu erörtern, was meine Bedürfnisse sind. Ich bin hier, um über mein Volk zu sprechen und auch für dieses ist Freiheit ein Zweck. Wenn das tiefste Bedürfnis eures Volkes, damit es seine Würde und seine Kultur erhalten kann, Wenn ich Freiheit sage, dann meint dies, dass das Volk nach Autarkie und Autonomie strebt, so wie jeder unschuldig Gefangene, so er bei Verstand ist, auf seine Freilassung hofft." Er blickt Xū Dǎnshí fast etwas verächtlich an. "Aber von dieser Freiheit träumen nicht nur Unschuldige. Und dennoch, diese Freiheit ermöglicht es uns erst wieder unsere Kultur zu rehabilitieren, wieder die Künste zu fördern und für uns selbst zu leben, ohne dass ein Kaiserhof jedem Einzelnen diktiert, was er zu tun oder zu lassen hat, so sehr es auch gegen seine Natur sein mag. Mein Volk braucht keine Anleitung, wie es zu essen, wie es sich zu kleiden hat, wann es den Kaiser zu verehren hat und wann es das Werk auf dem Feld beginnt, wann es sich zu Ruhe begibt, welche Götzen oder Götter es anbetet. Auch wir haben Regeln des Zusammenlebens, aber wir schnüren uns nicht in die Gleichheit, denn Gleichheit ist furchtbar. Und dass ist das, was euer Hof will. Er will uns zu Chuangschen Menschen machen. Wir sind jedoch keine Menschen, wir sind Elben!"
Qiānbēi Irindiil blickte zu Lu Chieng, aber nur ganz kurz, dann behielt er wieder den alten Beamten im Auge. "Ich weiß nur wenig: eben das, was man sich erzählt. Einer von euch habe den Kaiser ermordet, weshalb ich euch dazu im Namen meines Volkes gedankt habe. Wie weit es den Hof verlassen hat, kann ich in seiner Gänze nicht einschätzen. Eigentlich sollte es noch nicht so bekannt sein, es sind erst etwas mehr als vier Tage seit seinem Tod vergangen. Meine Boten werden erst am morgigen Tag den Norden erreichen, wenn sie gut durchgekommen sind, wenn das Wetter und die Witterung ungünstig ist, werden sie erst in drei oder vier Tagen dort eintreffen. Aber es gibt auch Abgeordnete der anderen Völker hier, die ihre Herren, Meister oder ihr Volk darüber informieren, um sie vorzubereiten. Das dürfte für die Orks, wie für die Zwerge gelten. Vielleicht auch für jene Höflinge, die selbst einen Putsch vorbereitet haben. Usurpatoren erheben sich allenthalben seit geraumer Zeit, der Tod des Kaisers wird auch die feigesten Aufrührer zum Handeln zwingen und in diesem Chaos kann das Volk der Elben seine Freiheit wiederherstellen."
Der Elb lächelte das erste Mal wieder sanft.
"Obgleich die Weisen des Hofes natürlich gleich Gegeninformationen streuen werden, dass der Kaiser hier und dort gesehen wurde. Aber es wird niemand glauben, weil der Kaiser sich vor Jahren schon zurückgezogen hat. Sie werden eher an den Tod glauben und sich mit jedem Tag fragen, warum es keinen Thronfolger gibt. Und eure Uneinigkeit ist der Schlüssel dazu. Erst, wenn man einen Schuldigen hat, kann der künftige Thronfolger seinen Posten legitimieren."
Der Elb lächelte jetzt schon fast neckisch, als würde er sich über den Untergang des Reiches zutiefst freuen.
"Das ist der besondere Clou an der Situation. Da der Kaiser seit Jahren im Palast festhängt, können nur bestimmte Personen zu ihm vor, weshalb seine Söhne ebenso in Mordverdacht stehen können, wie jeder andere des Hofes und ihr natürlich. Und da die Usurpatoren und Feinde des Hofes genau in diese Kerbe schlagen werden, muss ein potentieller Nachfolger einen Mörder glaubhaft präsentieren können, damit der Thronfolger offiziell nicht durch Verrat auf den Posten gekommen ist, denn dann werden noch mehr Distrikte des Reiches abtrünnig werden. Das Land bietet so viele Querelen, Probleme, Krankheiten, Aufstände und Kriegsschauplätze, dass ihr die einzige Chance des Hofes seid, sich zu rehabilitieren und das Land insofern zu beruhigen, dass der neue Kaiser sich den anderen Problemen danach Stück für Stück widmen kann. Deswegen wahrscheinlich die äußerst kurze Zeitspanne, die man euch lässt, den Täter unter euch zu entlarven. Und wahrscheinlich ist sie gleichzeitig so lang, damit Shǎzi genügend Zeit hat, um eine Verschwörung glaubhaft werden zu lassen, die es ermöglicht, euch alle zu hängen, sollte sich der Täter nicht finden."
Der Elb schien einen enormen Respekt vor dem Hofnarren zu haben, denn seine Worte klingen anerkennend und ein bisschen furchtsam zugleich.
"Deswegen muss es schnell geschehen, dass mein Volk gewarnt wird. Aber dennoch habt ihr, ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder nicht, genügend Vorarbeit geleistet, damit alle von Chuang Unterdrückten sich zu befreien versuchen können. Dafür, das betone ich nochmals, gebührt euch der größtmögliche Dank!"