6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:08:06 Uhr - Vor dem Altenstift
Mutter Ursula sagte nichts weiter und schleppte den verwunden Studenten mit seiner furchtbaren Brustwunde weiter in das Behandlungszimmer, während sich Hermene umzuschauen begann in ihrer schützenden Hülle aus verbergender Magie. Und sie glaubte Schritte auszumachen, betont langsam und...provozierend, doch sie sah nichts. War sie nicht an ihre eigenen Schritte gewöhnt? Nein, es waren nicht ihre Schritte, auch wenn sie furchtbar nah waren. War es ein Tanz zweier Unsichtbarer, die beide das Stilett in eisiger und nasser Stille erhoben hatten? Eine kräftige Böe schickte die Nebelwand einfach fort, ließ sie eins mit dem kalten Wind und dem eisigen Wasser werden und noch immer konnte Hermene nichts sehen, nur hörte sie die Schritte, welche sie vorsichtig, wie eine lauernde, wenn auch gestiefelte, Katze zu umschleichen schien. Die Laternen des Portals und des Vorplatzes warfen karges und selbst hinter dem Glas flatterndes Licht, kein humanoider Schatten war zu sehen.
Wann würde diese lauernde Katze losspringen
[1]?
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:13 Uhr - Auf der Helka
Das Wetter wurde in der Tat noch unbarmherziger, es war richtiges
Schietwedder, wie man so passend im hohen Norden sagte. Und während Alfred und Karl sich mit jedweder aufzubringenden Mühe gemeinsam daran machten, die Maschine zu starten, nahm der Wind noch einmal zu und dräute den besegelten Schiffen mit all seiner unbarmherzigen Kraft. Der russische Wind, der die Farben des Zaren
[2] nach Kiel brachte, schien brustend und pustend über die Kämpfenden zu lachen. Die Kieler Förde war in diesen Moment nicht nur wegen der Kanonenschläge ein gefährlicher Platz. Der eiskalte Regen tat sein übriges.
Paul murrte in den Wind und hielt sich am Mast fest, während die anderen Studenten Schutz in einer kleinen Senke an Deck suchten, um nicht über Bord zu fallen.
"Pass op! Wohr di weg! Wohrscho! Wohrschu![3]", hallte es über das Deck, immer dann wenn Carl, der inzwischen das Steuer übernommen hatte, in eine besonders mächtige Welle steuerte und das eiskalte Salzwasser auf das Deck niederging. Verbissen wurde auf die Sonnenblume geschaut, welche sich bereits beträchtlich neigte. Und sprangen da etwa Männer ins Wasser? Die beiden großen Schiffe zogen sich langsam zurück, machten eine Kehrtwende und liefen nicht in die Reichweite der Kieler Kanonen. Die Brigg brannte vom Heck an lichterloh und warf einen unheilig wirkenden Schein über die Förde und das erste Mal ließ sie überprüfen, ob die anderen Schiffe eine Beflaggung hatten. Doch sie waren nicht beflaggt
[4].
Wieder sprangen Seemänner und vielleicht gar Passagiere der sinkenden und brennenden Brigg ins eiskalte Wasser.
"Dat geiht scheef![5]", sagte einer der Studenten mit tiefer Sorge in seiner Stimme und klammerte sich am massiven Paul fest, als Carl eine weitere Welle nahm, während Karl und Alfred gemeinsam trotz des Wasser die Maschine am Laufen hielten. Sie mussten sie am Leben halten, sonst würde die Förde mit ihnen spielen
[6].
Nur noch wenige hundert Meter, und sie hätten das Schiff erreicht. Eine weitere Explosion und es regnete Holzsplitter.
Der Wind peitschte unbarmherzig, die im Wasser treibenden begannen um Hilfe zu schreien...