Als Abdo Kjartans Geschenk annimmt, strahlt dieser glücklich und marschiert voller Tatendrang den Frauen hinterher, die am anderen Ende der Eingangshalle offenbar etwas Interessantes entdeckt haben.
Rogar stiefelt hinterdrein, in Gedanken noch bei dem, was Kjartan so nebenher zu den Anfängen des Kampfes gegen die Dämonen ansprach. Von Javrud, dem "Propheten" der Menschen hat er sehr wohl gehört. Es wäre kaum möglich, noch nicht von ihm gehört zu haben, denn tatsächlich führte dieser Mann gut neunzig Jahre lang die Menschen (und immer wieder auch andere Völker) in den Kampf gegen den neuen, schrecklichen Feind, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Genau wie er. Der einzige Überlebende einer Seeschlacht
[1] sei er, die weit dort draußen vor Dalarans Küsten stattgefunden habe, oder jedenfalls der einzige der Seinen, der auf Dalaran strandete, ganz in der Nähe von Ansdag. (Deswegen ist Rogar ja mit seinen beiden Gefährten Maduk und Baldur nach Ansdag geschickt worden in der Hoffnung, dass es hier—wie damals—Menschen gäbe, die sich im Zentrum des Widerstandes gegen die Horden befänden.) Skoll-Hati nannte Javrud die Dämonen und sie kämen von sehr weit her, ebenso wie sein Volk, die Luonnatar, welches sich seit langer Zeit im Krieg mit ihnen befände. Er war kein Mensch, dieser Prophet der Menschen, Javrud von den Luonnatar (so nennen ihn die Dain, wie immer korrekt). Soviel ist klar, wenn man um seine lange Lebenszeit weiß. Außerdem stehen in mehreren Städten der Dain, Rogars Heimatstadt darunter, Statuen von ihm – eine Ehre, die nur wenigen Nicht-Dain jemals zuteil wurde (Javrud teilt sie sich mit zwei Riesen, drei Hakadi und einem Elb).
[2] Die Erzählung Kjartans stimmt also halbwegs mit dem überein, was Rogar über die Zeit weiß. Ein wenig frivol geht der Junge mit der Sache um, die doch von solch historischer Wichtigkeit ist. Ja, es stimmt, dass Javrud alle fünf Völker in den Kampf gegen die Dämonen führte, auch wenn einige zwergische Historiker die Kolkar gerne unterschlagen oder sich herauszureden versuchen, dass sei schon möglich, dass die Menschen sich nicht zu schade seien, mit Kolkar Seite an Seite zu kämpfen—das sähe man ja heute wieder, dieser Gelspad-König!—aber gewiss muss das zu einer anderen Zeit gewesen sein, als die Dain noch nicht (oder nicht mehr) dabei waren. Nur einige wenige, wagemutige von ihnen erklärten: nein, es war zurselben Zeit, eben das war Javruds Verdienst! Und schließlich bedrohen die Dämonen uns alle. (Zu entscheiden, welche Seite nun recht hat, dazu hat Rogar sich bisher nicht in der Lage gesehen.) Und jetzt kommt Kjartan daher und behauptet so einfach, die Ninae sei dabei gewesen und es sei so gewesen, dass sechs Völker sich unter Javruds Banner vereint hätten: Mensch, Dain, Elb, Kolkar, Riese
[3] und sogar die Feen, die von keinem dainschen Historiker in diesem Zusammenhang je erwähnt wurden! Hm.
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Nicht ahnend, dass die Zweibeinerin, die sich ihrer so fürsorglich annimmt und sie mit Wasser, vorgekautem Fleisch und Streicheleinheiten versorgt, gerade die neunfache Gnadentötung an ihnen als eine von drei möglichen Ausgängen erwägt, drängen die Welpen sich um Lîf (wenn sie nicht gierig von der Wasserschale schlürfen) und werden immer wagemutiger; der wagemutigste unter ihnen klettert auf ihren Schoß und kuschelt sich an sie.
"Wenn Du sagst, dass Gaja es so befiehlt," erwidert Tristan, doch klingt so zögerlich dabei wie zuvor in Reaktion auf ihren ersten Vorschlag.
"Bei den ganz jungen tut's mir halt leid. Die hab' ich noch immer vor den Klingen der Fahrtenbrüder zu bewahren versucht oder auch dem Flammentod. Wenn sich hinterher niemand in der Gegend gefunden haben sollte, der die Waisen aufnimmt, so sei dies deren Schande, nicht die meine." Abermals stellt Tristan fest, dass er mit der Elbin einer Meinung ist. Andererseits...
"Men selvfølgelig er du drudkvinden."[4] Ärger mit seinem Weib wegen ein paar Welpen will er dann doch nicht riskieren.
Derweil marschiert Abdo, gefolgt von Rogar, Aeryn und Freydis, welche ihren leuchtenden Streitkolben hochhält, bereits zur nächsten Tür und stößt sie beherzt auf.
In der recht großen Kammer dahinter herrscht ein ziemliches Durcheinander, sodass er auf den ersten Blick nicht gleich erkennt, welchem Zweck sie dient. Menschenleer ist der Raum, das ist wohl sofort klar. Auch keine Hundemutter versteckt sich hier. Es riecht feucht und metallisch.
Zwei Fenster hat's—klein und halb unter dem Erdlevel, wie schon gewohnt—durch die ein wenig Tageslicht fällt. Schmale Tische stehen entlang der Außenwand und jeweils links und rechts, ein breiterer Tisch in der Mitte. Eimer und Zuber in großer Zahl stehen im ganzen Zimmer verteilt, Töpfe und Körbe reihen sich unter den Tischen entlang der Wände aneinander, etliches Gerät liegt rechterhand achtlos in der Ecke. Bretter und dicke Holzstangen sind darunter, Holzlöffel und Holzzangen. Nicht weit davon entdeckt er ein dreckiges Schaffell. Auf dem rechten Tisch liegt eine einzelne, ebenfalls recht dreckige Schürze.
Auf dem breiten Tisch in der Mitte liegt dagegen Werkzeug ganz anderer Art. Verschiedene Messer finden sich hier, wohl sortiert, sowie ein Kästchen mit Nadel und Faden und eines mit einem halben Dutzend tönernen Fläschchen. Die Tischplatte ist fleckig und zerkratzt. Gurte wurden um sie herum gespannt, auch diese sind dreckig. Eine Rinne wurde in den Tisch gekerbt, einmal komplett außen herum, mit einem Durchbruch am Fuß des Tisches, worunter ein Eimer zum Auffangen steht.
Der Boden des Raumes ist fast vollständig gefliest (will heißen, die alten, akadischen Fliesen sind hier halbwegs intakt oder wurden zusammengetragen, als das Haus drumherum gebaut wurde), doch die Wände sind aus Holz mit Ausnahme der linken, inneren Ecke, welche von der Rückwand der Kellertreppe gebildet wird. Hier befindet sich ein Loch in der Wand, darüber an einer Öse aus Eisen ein Seil hängt, welches mit einem Ende in der Wand verschwindet, während das andere durch einen dicken Knoten daran gehindert wird, durch die Öse zu rutschen und ebenfalls in dem Schacht dahinter zu verschwinden.
Nahrung für die Welpen gibt es hier nicht.