Obwohl Omrah wütend war und am liebsten vorgestürmt wäre, so konnte er sich kaum ein Stück bewegen. Statt in den Raum zu rennen und zumindest zu versuchen, dass Unausweichliche zu verhindern, hielt er sich die Ohren zu. Er konnte einfach nicht mehr dabei zuhören, wie sie beschrieb, was sie mit all seinen Bekannten und Freunden gemacht hatte. Er wollte es nicht hören und doch drang ihre Stimme in seinen Kopf ein.
'Eure Bindungen zueinander... sie machen euch so schwach.' Nein, das stimmte nicht. Die Bindung zwischen ihnen allen war das Einzige, was sie zusammenhielt und bisher beschützt hatte. Es war das, was sie stark machte. Darum mussten sie in die Reststadt gehen. Um sich zu versammeln. Denn nur gemeinsam waren sie stark und hatten eine Chance.
Omrah wollte die Frau anschreien, ihr seinen Dolch für ihre Lügen in den Magen stoßen und wenigstens seine Rachegelüste befriedigen aber gerade als er noch hörte, wie sie irgendetwas unaussprechliches mit Will anstellte, verschwand der Gang und der Raum um ihn herum.
Wieder ein Gefühl als würde er fallen. Im ersten Moment befürchtete der Junge, dass er wieder ohnmächtig werden und in einer Welt voller Untoter und ohne Hoffnung aufwachen würde aber etwas war anders. Ihm wurde nicht schlecht und auch Luft bekam er noch ohne Probleme. Er schwebte in dem Licht, dass ihn überall umgab und während er sich so umsah, entdeckte er, dass er nicht alleine war. Omrah wusste nicht wo genau er war aber er fühlte, dass er jetzt in Sicherheit war. Hier würde ihm nichts passieren.
Aus allen Richtungen prasselten jetzt Fragen auf ihn ein. Männer, Frauen und andere Wesen, deren Gestalten er gar nicht richtig erkennen oder begreifen konnte, wollten etwas von ihm. Omrah wusste erst nicht, ob wirklich er derjenige war, der befragt wurde. 'Willst du für das Licht kämpfen? ' ... 'Willst du unser Recke sein, unsere Quelle des Lichts?' Er war doch nur ein Kind. Gerade einmal Elf Jahre alt. Wieso sollte gerade er Licht in die Welt bringen und für das Leben kämpfen? Was konnte er schon tun, was Gelirion und Schnüffler nicht tun konnten? Sie waren stärker, erfahrener und schlauer als er. Doch dann begann der Ring an seiner Hand zu kribbeln. Es war ein warmes Gefühl und in diesem Moment wusste der Straßenjunge, dass diese Wesen - was auch immer sie waren - ihm dieses Geschenk gemacht hatten.
Das konnte nur bedeuten, dass er vielleicht doch etwas... besonderes war. Diese Lichtgestalten würden ihn nicht ohne Grund beschenken oder dieses Angebot machen. Sie bauten auf ihn; hatten einen Plan. Irgendetwas konnte Omrah tun. Er konnte helfen.
Lange musste der Junge nicht zögern, um sich einer Antwort bewusst zu werden. Er konnte jede dieser Fragen mit einem Ja beantworten. Er wünschte sich nichts mehr, als seine Freunde zu beschützen und die Zukunft, die ihm gezeigt worden war, abzuwenden.
Er wollte das Licht sein, dass die Untoten aus dieser Stadt vertrieb. Sein Vater hatte Aradan immer eine schillernde Stadt genannt. Vielleicht konnte Omrah jetzt helfen, der Stadt sein Licht und seinen Glanz wiederzugeben.
Aber vor allem Eines wollte er nicht. Niemals durfte Ryffa so enden, wie er sie hier gesehen hatte. Um sie zu beschützen musste er mehr werden als nur ein einfaches Straßenkind. Er musste so stark wie Gelirion, Arjen und Schnüffler werden und so weise wie Rhamedes es gewesen war aber dafür brauchte er Hilfe.
Plötzlich wurde es still und lediglich eine einzige, wunderschöne Stimme sprach jetzt zu ihm. Einen Moment lang glaubte Omrah direkt vor Elendra zu stehen und mit ihr zu sprechen. Sie war die Göttin des Lichts und es machte nur Sinn, dass Omrah sich - umgeben von Lichtgestalten - hier in ihrem Reich befand. Doch konnte das wirklich sein? Wurde er wirklich von Elendra selbst beschenkt? Andererseits sprach die Stimme auch von "Uns".
Darüber konnte er immer noch später nachdenken, denn im Prinzip war es egal, wer ihm dieses Geschenk machte. Er musste es annehmen, wenn er jemals eine Chance haben wollte, seine Freunde und all die anderen Überlebenden zu beschützen.
Omrah nickte. "Wenn ich dadurch meine Freunde beschützen und die Untoten befreien kann, dann will ich euer Geschenk annehmen. Ich werde meine gesamte Existenz dem Leben und Licht widmen. Ich werde euren Regeln folgen und alles tun, was ihr von mir verlangt. Ich will eure Quelle des Lichts werden." antwortete der Junge schließlich mit fester Stimme.