Esulilde wandte ihren Blick von Udeon ab und antwortete Iana: "Das wichtigste ist, dass Ihr die Angst die Euch durchflutet, am Ende überwindet. Es ist dieser Akt der Willenskraft, der uns Stärke verleiht. Und je intensiver wir vorher die Angst spüren, desto mehr Willenskraft benötigen wir. Es ist stets ein kraftspendendes Gefühl, seine Angst überwunden zu haben - das Wissen, doch stärker zu sein als die Angst, die einen Momente zuvor beinahe vollständig verschlungen hätte... und man sogar noch Herr seiner Sinne ist. Daraus ziehen wir auch bei der Anwendung unserer Magie unsere Stärke."
Esulilde dachte daran zurück, wie sie Rhamedes stabilisiert hatte - die Angst hatte ihr Kraft gegeben.
Sie erinnerte sich an ihre Flucht, nachdem Udeon zur Verkörperung des Schreckens wurde - die Angst hatte sie angetrieben, ihr die Kraft gegeben, zu fliehen... hätte sie die Angst niedergekämpft hätte sie den Tempel nicht verlassen, wäre von Udeon und seinen damaligen, ihm offenbar dienenden Untoten getötet worden.
Auch reflektierte sie Omrahs Momente der Angst. Nach der Heilung durch Esulilde war Omrah rückwärts zurückgewichen, hatte Esulilde aber noch immer angesehen. Dann schien es, als hätte ihn die Angst vollständig überwältigt und hatte ihn ertränkt, als er wenige Momente später das Gesicht in den Händen verborgen hatte.
Beim zweiten Mal, in jenem Raum, in dem das Artefakt lag, hatte er sich ängstlich Gelirion zugewandt - vielleicht hatte er auf seinen Trost gehofft, weil er erneut nicht stark genug gewesen war, seine Angst zu überwinden? Auch dort hatte die Angst ihn scheinbar ertränkt... ganz im Gegensatz zu Esulilde, die begonnen hatte, sich nicht nur in der Dunkelheit, sondern auch im Angesicht der Angst wie ein Fisch im Wasser zu fühlen. Die Dunkelheit -und ganz besonders die Angst- waren die Aspekte ihres Gottes.
"Timeroth darf ebenfalls gerne unserem Ritual beiwohnen. Auch ich selbst habe schon in den jüngsten Jahren Aguas' Ritualen, Messen und Gebeten beigewohnt, sowohl im Tempel als auch zu Hause. Bei mir liegt es in der Familie, denn auch meine beiden Eltern sind ebenso wie ich Prediger unseres Herrn."
Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu ihrem Vater und ihrer Mutter... Waren sie unter jenen gewesen, die Xaraleas' Dämon beschworen hatten? Waren sie im gemeinsamen Haus -tot oder lebendig?- oder bereisten sie in ihrem Amt als Wanderprediger entfernte Städte? Vorher hatte sie nur wenig daran gedacht, da es stets die Gewissheit gab, sie sehr bald wiederzusehen.
Doch jetzt... was war, wenn nicht nur Aradan, sondern auch die umliegenden Gebiete von Untoten heimgesucht wurden?
Erneut durchflutete sie ein Schauer der Angst aufgrund des ungewissen Schicksals ihrer Eltern. Dennoch erhielt Esulilde ihre Körperhaltung aufrecht, als sie auch diese Welle der Angst überwand. Die Angst ist allgegenwärtig. Also muss sich jeder von uns entscheiden ob er sich von der Angst ertränken lässt oder sie als Teil von sich annimmt.