So schön der Tempel von außen war, so schlicht war sein Inneres gehalten. Die glatten Wände, nur gelegentlich mit religiösen Bildern oder kleinen Statuten verziert, waren hoch genug, um ein Gefühl von Freiraum zu vermitteln, ohne pompös zu wirken. Die Eingangshalle war kreisförmig, und die Symbole der verschiedenen Glaubensrichtungen prangten über Rundbögen, die in die verschiedenen Bereiche des Tempels führten.
Der Tempel selbst war übersichtlich angelegt, so dass trotz seiner Größe kaum eine Gefahr bestand, sich zu verlaufen - jedenfalls soweit Eretria und Milan das Gebäude bisher gesehen hatten.
Der Tempel von Mutter Sonne und den zwei Monden beherbergte einen kugelförmigen Altar, auf dessen Oberfläche eine steinerne Platte angebracht war. Dies symbolisierte die Sonne, die die Welt trug. Die Gelehrten stritten sich noch immer, ob die Welt eine Scheibe oder eine Kugel darstellte - doch aus rein praktischen Gründen wurde die Welt bei den Altären als Scheibe dargestellt.
Zwei weitere Kugeln standen unweit des Altars, Symbole der zwei Monde. Ein großer Wandteppich hing an der Wand hinter dem Altar, ein kunstvolles Stück, in den jemand in vermutlich jahrelanger Feinstarbeit ein Bildnis des Himmels und seiner Gestirne gewebt hatte.
Gerade, als Eretria ihr Gebet beendet und sich wieder Milan zugewandt hatte, betrat eine junge Frau mit langen, glatten hellroten Haaren den Tempel. Sorgenvoll blickte sie sich im Raum um, und schien erst dann die beiden Besucher zu bemerken. Erst als sich die Frau, die ähnliche Priestergewänder trug wie Eretria, den beiden Ermittlern zuwandte, konnten diese die leichten Tränenspuren auf dem Gesicht der Frau erkennen.
"Oh verzeiht", entschuldigte sie sich, und wischte schnell ihre Tränen fort. "Ich... willkommen im Tempel. Kann ich euch helfen? Gern bin ich euer Licht und euer Schatten."
Sofort erkannte Eretria den rituellen Satz, den jede Priesterin gelernt hatte, die schon einmal den Tempeldienst übernommen hatte.