"Nun, von wegen einlassen, sie wird nicht gefragt worden sein", erwidert Tristan.
"Denn wenn's auf dem Festland so gehandhabt wird wie bei uns auf den Inseln, und Lîf hat mir nie zu verstehen gegeben, dass es anders sei, so bestimmt der Vater eines Weibes den Ehegatten und handelt mit diesem oder, ist's dessen erste Ehe, mit dessen Vater, den Ehevertrag aus. Wie hoch etwa die Ablöse ist, die der zukünftige Gatte der Familie des Weibes zahlen muss, als Entschädigung für den Verlust ihrer Arbeitskraft, wieviel andersherum sie an Heimsteuer mit in die Ehe bringt, also an Hausrat und nützlichen Dingen, dann was der Gatte ihr als Morgengabe nach der Hochzeitsnacht zu übergeben hat an Schmuck und Tand, und worin ihr Witwenteil bestehen soll. Wenn er also eine ordentliche Ablöse geboten hat und an Heimsteuer kaum etwas gefordert (beim vierten Weib, was wird er da noch gebraucht haben), so wird er schon einen Vater überzeugt haben, die am wenigsten tüchtige unter seinen Töchtern herzugeben.
Seltsamer finde ich den Fall der fünften Frau. Wenn sie zu recht Uthers Verlobte geheißen wurde, müsste es eigentlich schon einen Vertrag gegeben haben, von Soren ausgehandelt im Namen des Sohnes. Und dann hat der Alte sie sich selbst genommen? Womöglich war's von Anfang an so geplant, der Handel im Namen des Sohnes von Anfang an ein Trick? Und da hat der Vater der Braut den Kerl nicht zur Rede gestellt ob seines Wortbruchs? Spätestens, als das arme Weib in Schande fortgejagt wurde, weil es dem ihr eigentlich Versprochenen beilag, hätte ihr Vater oder Bruder den Fall vors Thinggericht bringen müssen oder anderweitig seiner Rachepflicht nachkommen!" Klarheit in diesen Dingen sucht sein fragender Blick bei Freydis.
[1] "Und was wurde aus Uther? Hat er inzwischen ein Weib? Aus guter Familie? Hier aus der Gegend?" Damit ist er endlich bei der Sache angelangt, die ihn tatsächlich interessiert, denn er will zum einen die hiesigen Machtverhältnisse verstehen, zum anderen Information darüber erlangen, wer alles hier auf dem Hof lebt oder wer der Familie bei Gefahr beistehen würde.
~~~
Rogars Begutachtung der Pflanzen ergibt: Fraß und Gänge sind nicht erkennbar, ebensowenig ein Pelz, Geflecht, Knoten oser sonstige Auswüchse, noch ein einseitiger Befall. Eine vierte Theorie drängt sich ihm auf: was, wenn nicht Faulgas in der Folge entstand, sondern vielmehr Grubengas (für Zwerge eine alltägliche Bedrohung, von der Zusammensetzung ist es nahezu identisch mit Faulgas, nur eben oft geruchlos, weshalb es ja so gefährlich ist, dass die Minenarbeiter stets Käfige mit kleinen Tiere—Mäuse oder Singvögel—mit zur Arbeit nehmen, um durch deren Tod vorgewarnt zu sein und den Stollen sofort zu evakuieren) wenn Grubengas also vielmehr die Ursache der Pflanzenwelke war? (Und geruchlos ist es ja, das Gas hier, auch wenn Rogar sich nicht zu erklären weiß, was Grubengas hier verloren hat.)
~~~
Derweil die anderen plaudern, schauen sich Kjartan und die stets wachsame Elbin sehr genau um. Da wäre zunächst der Blick in die Ferne, der sich recht überraschend bietet, als die Kuppe des kleinen Hügels erklommen ist und sich dazu linkerhand eine Lücke im ansonsten dichten Baum-und Strauchbewuchs auftut. Am letzten Ausläufer des Küstengebirges gleitet das Auge des Betrachters südlich vorbei, über eine saftig grüne Ebene hinweg, die abrupt endet, dahinter ein weiter, grauer Dunst bis an den Horizont—das Meer. Wolken ziehen darüber auf, vorangetrieben von einem Wind, der hier nur noch als Brise die erhitzten Gesichter streift und den leisesten Geschmack an Salz auf den Lippen zurücklässt. Sofort weitet sich die Brust, hebt sich der Atem, die Gedanken segeln frei wie die Möwen, deren Schreie man in der Ferne vernimmt...
Doch dann zwingt man den Blick zurück auf die nähere Umgebung.
Das Haus ist gar nicht so klein, wie Kjartan zunächst dachte. Erstens hat das Gebüsch dort einen großen Teil des Gebäudes verdeckt, das sich wesentlich weiter nach links erstreckt, als Kjartan erwartet hätte; zweitens wird klar, als man sich der mittig gelegenen Tür nähert, dass es sich offenbar um ein reines Wohnhaus handelt, denn von dem halben Dutzend an Nebengebäuden sind zwei ganz offensichtlich Ställe, mit angeschlossenener Unterkunft für die Mägde und Knechte. Knechte selbst sieht man auch einige, in weiter Ferne, auf den Feldern. Zwei, drei Mägde zeigen sich dazu zwischen den Gebäuden, ihrem Tageswerk nachgehend. Fünf Kinder spielen an einem Karpfenteich. Ein großes Gedränge herrscht auf dem schmalen Steg, der ins Wasser hineinrag, es wird gebalgt und gerangelt, bis das geschieht, was jedes Weib, welches die Szene betrachtet, schon die ganze Zeit befürchtet: eines der Kinder, das Kleinste, das eigentlich gar nicht beteiligt war, plumpst ins Wasser und taucht nicht mehr auf. Die anderen Kinder kreischen vor Schreck und rufen um Hilfe, doch niemand eilt herbei; eines verfällt auf die Idee, mit einem Stock im Wasser zu stochern, doch ohne Erfolg; ein anderes verschwindet in Richtung des nächsten Nebengebäudes, doch wird es rechtzeitig jemanden finden?